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Jährliches Silvester-Duell

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Alle Budgetmittel müssen auf das Silvester-Feuerwerk konzentriert werden.

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Alle Budgetmittel müssen auf das Silvester-Feuerwerk konzentriert werden.

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Mit Scham und Schrecken denke ich zurück an die Silvesternacht des vergangenen Jahres. Nicht nur am Neujahrsmorgen, sondern auch an den folgenden ersten Tagen des neuen Jahres getrauten wir uns nicht aus dem Hause. Bleich und abgezehrt verkrochen wir uns in die dunkelsten Winkel, von Vorwürfen gequält, zermürbt von Schande und Erniedrigung. Denn Furchtbares, Vernichtendes war geschehen. Mit Schaudern malt mir die Erinnerung die demütigenden Bilder.

Es war eine klare Nacht. Über den Bundfunk ertönten die Schläge der Pummerin, die ersten Takte des Donauwalzers erklangen. Wir standen vor dem Hause, blickten zum Himmel, wünschten einander alles Gute - da begann unser Nachbar loszu-feuern. Ein Brillant-Feuerwerk mit mindestens fünfzig tollen Baketen prasselte in die Höhe, Leuchtkugeln tauchten die Gegend in Silberlicht, bunt entfalteten sich magische Sternenregen über unseren Häuptern. Das war eine Aha und Oho, ein triumphales Wünschen und Grüßen -unüberhörbar der siegreiche Eroberungsschrei über die Lufthoheit!

Und wir? Mickrige zwei Dutzend Knallfrösche zischelten aufglosend über unsere Veranda, entwickelten mehr Rauch als Feuerwerk, gingen mit ihrem heiseren Geknatter glatt unter vor dem mächtigen Blendwerk des Nachbarn.

Vom ersten Augenblick an zeichnete sich die Niederlage ab. Die Mu-nitiqnierung war völlig unzureichend. Wir waren unterlegen und besiegt. Verächtlich klangen die Stimmen von drüben. Was soll dieses Arme-Leute-Geknatter, dieses miese Underdog-Funkenspiel!

Ein furchtbarer Prestige-Verlust! Knirschend zogen wir uns zurück. Kaum wagten wir, einander in die Augen zu sehen. Diese Scharte muß ausgewetzt werden. Nie wieder darf uns solch eine Niederlage treffen!

Ich entwickelte meine Strategie. Verläßliche Gewährsmänner wurden als Spione angeheuert und beobachteten genau die Silvester-Vorbereitungen des Nachbarn. Dieser wähnte sich in Sicherheit und vermeinte, auch heuer wieder einen leichten Sieg zu erringen. Meine Geheimnisträger meldeten, daß er wieder fünfzig Feuerwerks-Raketen der teuersten Sorte eingelagert hatte.

Nun gilt es, entschlossen zu handeln. Sämtliche Weihnachtsgeschenke wurden gestrichen, der Christbaum zugunsten von ein paar Tan-nenzweiglein eingespart und das Festtagsmenü auf zwei Fischkonserven reduziert. Zwar murrte die Familie, aber sie verstand schließlich, was auf dem Spiele stand. Alle Budfetmittel müssen auf das Silvester-euerwerk konzentriert werden. Ich nehme mir einen Tag Urlaub und suche die renommiertesten pyrotechnischen Erzeuger und Händler der Stadt auf. Ich erkläre meine prekäre Situation. Und ich erwarb ein Brillant-Feuerwerk fernöstlicher Provenienz mit 120 Raketen. Unter größter Geheimhaltung, unter Tannenreis und Blumentöpfen getarnt, brachte ich die brisante Ladung ins Haus. Die Einlagerung von so viel pyrotechnischem Material im Keller widerspricht den feuerpolizeilichen Vorschriften, aber was wagt der Mensch nicht alles, wenn es ums Äußerste geht!

Derzeit schlafen wir schlecht. Unser Keller ist ein Pulverfaß. Aber nur noch zwei Tage bis Silvester. Im Schutze der Dunkelheit treffe ich meine Vorbereitungen. Ahnungslos ist der Nachbar, grüßt uns freundlich und säuerlich, fühlt sich überlegen und siegessicher.

Um Mitternacht wird er erleben, wie unser Brillant-Feuerwerk wie ein feuriger Phönix aus der Asche der vorjährigen Niederlage steigt. Niedergeschmettert wird er erkennen müssen, daß doch wir die potenteren Feuerwerker sind.

Ich fiebere der Stunde entgegen. „Na, mein Lieber”, werden wir dann donauwalzeruntermalt lächeln, „wie gefällt Ihnen das? Ist schon ein gewisser Unterschied zu Ihren paar lauten Knallfröschen! Und übrigens: Prosit Neujahr!”

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