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Jugend einst und jetzt

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In drei Monaten sind es hundert Jahre, seit Grillparzer starb. Es wäre dites für die österreichischen Bühnen der gegebene Anlaß, seine Stücke aus jener neuen Sicht darzubieteh, die ihn als Vorkämpfer heutiger Dramatik erkennen läßt, womit die falsche Vorstellung vom Epigonen Weimars zu zerstören wäre. Ein Ausbruch aus der Konvention bequemer Herkömmlichkeit ist zu fordern. Nun brachte das Burgtheater eine Neuinszenierung des Lustspiels „Weh dem, der lügt!“, das vor kurzem auf der Burg- bühne Forchtenstein zu sehen war. Die Frage ergibt sich, ob die Ansprüche an Grillparzer-Aufführungen, die immer dringender zu stellen sind, nun erfüllt werden.

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In drei Monaten sind es hundert Jahre, seit Grillparzer starb. Es wäre dites für die österreichischen Bühnen der gegebene Anlaß, seine Stücke aus jener neuen Sicht darzubieteh, die ihn als Vorkämpfer heutiger Dramatik erkennen läßt, womit die falsche Vorstellung vom Epigonen Weimars zu zerstören wäre. Ein Ausbruch aus der Konvention bequemer Herkömmlichkeit ist zu fordern. Nun brachte das Burgtheater eine Neuinszenierung des Lustspiels „Weh dem, der lügt!“, das vor kurzem auf der Burg- bühne Forchtenstein zu sehen war. Die Frage ergibt sich, ob die Ansprüche an Grillparzer-Aufführungen, die immer dringender zu stellen sind, nun erfüllt werden.

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Siegfried Melchinger bezeichnete „Weh dem, der lügt!“ erst vor kurzem als ein „auf der Bühne ein wenig läppisches Lustspiel“. Nun, es ist das meist gespielte und beliebteste der Stücke Grillparzers, bei dem gelegentlich der Uraufführung im Jahr 1838 de facto nicht das Stück, wie es den Anschein hatte, sondern das Publikum durchgefallen war. Weshalb sollte dieses Lustspiel läppisch wirken? Erträgt man in der

Zeit, da das Abscheuliche und Grauenhafte lediglich als naturalistischer Abklatsch, ohne Tiefgang, in neuen Stücken die Bühnen beherrscht, nicht mehr die Auseinandersetzung mit menschlichen Werten? Ist das läppisch? Doch sei zugegebenen, daß die Aufführung eines Balanceaktes bedarf, da die Gefahr besteht, entweder ins didaktisch Reflexive oder ins Possenhafte abzugleiten. Wird aber beides zu

rückgenommen, vermeidet man den Zeigefinger wie den Schellenstab kommt das Menschliche heraus, um das es geht. Das Stück ist weder ein ernstes Schauspiel, noch ein Schwank oder eine Posse, es ist ein Lustspiel, das aus dem Hintergründigen lebt. Und Aktualität hat es in einer Zeit, da das Barbarische und die Lüge die Welt beherrschen.

Im Bühnenbild wird durch den Tschechen Zbynek Kolář jede Konvention erfreulich vermieden. Asketisch lapidare Inszenierung: Vor dem weißen Rundhorizont sinken Riesensterne, grüne Kreisflächen herunter, zwei, drei grüne Pyramiden deuten den Wald an, das Haus Kattwalds ist ein seltsam schmaler Holzturm, der sich aus der Versenkung emporhebt, die Szene dreht sich fallweise. Dieses Kreisen wirst besonders reizvoll, wenn die über den Fluß Fliehenden im Kahn sitzen. Den rein optischen Eindrük- ken entgegen bietet die Regie des Tschechen Jaroslav Dudek antithetisch Vorzüge und Mängel.

Heinz Reineke könnte der Vater des Küchenjungen Leon sein, er spielt ihn mit rauher Stimme dennoch. Jungenhaftes Temperament täuscht nur anfangs einigermaßen darüber hinweg. Völlig richtig ist Paul Hörbiger als Bischof ganz Einfalt, Güte, dadurch wird dem Reflexiven das Aufdringliche genommen, es wird zur Ausstrahlung eines liebenswerten schlichten Gemüts. Gewiß war Grillparzer altdeutsches Wesen durch die Romantiker verleidet worden, deshalb darf man aber die Barbarenszenen nicht abermals als Posse spielen. Der Kostümbildner Jan Skalický, dritter Tscheche, verkleidet Kattwald und Galomlr als Bären. Heinrich Schweiger als Kattwald muß gar hinken. Galomir ist auch hier ein Kretin, obwohl Grillparzer berechtigt eine solche Auffassung ablehnte. Und Atalus wird zum Todl, den Sebastian Fischer überraschend gut spielt. Sylvia Lukan bleibt der Edrita viel schuldig. Das Lustspiel geht verloren, das Publikum lacht über den Klamauk.

Der 25jährige Franz Xaver Kroetz, Gelegenheitsarbeiter, Kraftfahrer, ist derzeit Liebkind der bundesdeutschen Kritik. Zwei Einakter, vor einem halben Jahr im Werkraumtheater der Münchner Kammerspiele uraufgeführt, brachten Beischlaf, Abtreibung, Onanie auf die Bühne.

Kroetz selbst behauptete damals, er stelle Menschen dar, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Probleme wörtlich auszudrücken. Die Kritik rühmte daraufhin an diesen Gestalten, daß sie „kaum denken, kaum reden können“. Gewissermaßen: Die Pausen besagen mehr als die Worte.

Nun sieht man derzeit im wirkungsvoll renovierten „Theater der Courage“ das Stück „Wildwechsel“ dieses Autors, der hier ohne seinen zweiten Vornamen genannt wird. Dabei zeigt es sich lediglich, daß er eine Zeitungsnotiz völlig anspruchslos dialogisierte, die vom Mord eines

jungen Paares am Vater des Mädchens berichtete, der nicht erfahren sollte, daß die Dreizehnjährige schwanger ist. Die überaus kurzen Szenen bestehen aus knappen Sätzen im Dialekt, ohne daß sich eine besondere Wirkung ergibt. Kroetz behauptet, sein Schreibansatz sei das Mitleid mit den Leuten, die ihn umgeben. Davon ist — im Gegensatz zur Armeleutedramatik des Naturalismus — nichts zu bemerken. Das Stück bietet kaum mehr als die Zeitungsnotiz, alles Vorgeführte kann man sich selbst vorstellen, die Gestalten bleiben uns gleichgültig.

Die zahlreichen Miniszenen dauern kaum viel länger als die jeweiligen Umbauten der verschiedenen, auch lotrecht aufstellbaren Bänke des Bühnenbildes von G. Janda. In der vorzüglichen Aufführung unter der Regie von Dieter Berner und Wolfgang Quetes überzeugen Elisabeth Stepanek und Bernd Spitzer als das junge Paar und Emanuel Schmied und Friederike Weber als die Eltern des Mädchens.

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