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Jugend heute

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Dieses Hirtenwort entstammt einem Gedenken an die Oktober-Ereignisse 1938 in Wien, als katholische Jugend sich in Bekennermut um Kardinal Innitzer scharte, und Hitlerjugend tags darauf das Erzbischöfliche Palais stürmte. Nachgedanken über Tag und Jahr hinaus...

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Dieses Hirtenwort entstammt einem Gedenken an die Oktober-Ereignisse 1938 in Wien, als katholische Jugend sich in Bekennermut um Kardinal Innitzer scharte, und Hitlerjugend tags darauf das Erzbischöfliche Palais stürmte. Nachgedanken über Tag und Jahr hinaus...

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Es ist müßig und zugleich unumgänglich, über „die Jugend“ zu reden. Da sind zu viele Einzelschicksale und Einzelmeinungen. Und doch gibt es das gemeinsame Faszi-nosum, das die Jugend mitreißt, das große Taten möglich macht, das sie Verführungen ausliefert, das sie Türen eintreten und Bilder zerschneiden heißt.

Würden sie es heute wieder tun? In Österreich? Würden sie sich schützend um ihren Bischof stellen? Unerwünschte Lieder öffentlich singen? Oder einen Priester aus dem Fenster werfen?

Ich denke, es gibt einiges in der Jugend von heute, mit dem sie uns

Erwachsenen voraus ist; einiges besser versteht als wir; Blumen möglich macht, die vielleicht bald wieder ausgerissen werden oder verwelken, aber die einmal geblüht haben.

So sehe ich - oder besser gesagt, man spürt es: einen ernsten Sinn für Gerechtigkeit. Nein, nicht die lärmende Emanzipation, die häufig genug vorhandene Mißbrauchbarkeit! Sie läßt sich noch eine Zeitlang die Lebenszerstörung durch Abtreibung, Konsumgier und aufgeblähte Prestige-Kulissen gefallen. Aber sie könnte einmal wie ein tek-tonisches Beben die Urheber dieser eiskalten Vernunft umwerfen und abschütteln.

Und ich merke eine qualvolle Spannung zwischen Gewaltlosig-keit und Verzweiflung. Ich weiß nicht, ob es jemals in der Geschichteeinen so weltweiten Traum von der Gewaltlosigkeit gegeben hat. Ihre Signale dürfen nicht überhört werden. Wir abgebrühten Erwachsenen triben sonst den Zeiger einer weltgeschichtlichen Stunde ungebührlich voran, bis es 5 vor 12

oder tatsächlich 5 nach 12 wird. Zugleich sind die jungen Leute klug genug zu wissen, daß die Gewehre nicht durch Blumen ersetzt werden.

Oder doch nicht bloß schweigen?

Ich sehe noch etwas und ich bitte, mir zu glauben, daß dies kein berufsmäßiges Wunschdenken eines Kirchenmannes ist: die Hoffnung auf eine Kirche. Denn das, was bei Bücher- und Artikelschreibern, Jugendpädagogen und kurzatmigen Kirchengrämlern eifrig aus den Backöfen der zugfreien und überheizten Backstuben ihrer Theorien hervorgeholt wird, ist bei der Jugend eigentlich schon wieder vorbei - auch wenn sie die erwünsch-

ten Befragungsergebnisse noch brav liefern und nachreden, was ihnen Vorreder eingeredet haben. Es ist gar nicht einfach so, daß sie „Christus ja“ und „Kirche nein“ sagen. Sie fühlen schon längst wieder, daß Glaube ein Volk braucht und daß das Volk Hirten braucht und daß dann Kirche möglich wird. Und daß Jugend Kirche will.

Gegen alle Prognosen gehen sie auf Wallfahrten und knien in Kirchen. Sie denken über den Papst anders, als ihnen in kluger theologischer Differenzierung dargelegt wird. Wieviel Prozent sind es? Wahrscheinlich wenige. Aber .sie haben bereits - vor 30 Jahren hätten wir noch gesagt: die Fahne übernommen. Sagen wir es heute weniger poetisch: Sie sind einfach vorn. Und die, die vorn sind, werden auch die Politik, die Wirtschaft, die Zukunft machen. Wenn sie nicht niederkartätscht werden.

Bei Prozessionen pflegt meist ein Bub mit dem Kreuz voranzugehen. Vielleicht der einzige seiner Klasse, der bei der Prozession dabei ist. Aber er wiegt alle anderen auf.

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