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Kagel - Haupt - Stockhausen

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Innerhalb der „Woche der Moderne“ und der „Woche experimentellen Musiktheaters“, beide von der Bayerischen Staatsoper München veranstaltet, gastiecte die Hamburgische Staatsoper mit Mauricio Kagels „Staatstheater“ im Münchner Nationaltheater und mit „Repertoire“ des gleichen Komponisten auf der Experimentierbühne im Marstallgebäude.

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Innerhalb der „Woche der Moderne“ und der „Woche experimentellen Musiktheaters“, beide von der Bayerischen Staatsoper München veranstaltet, gastiecte die Hamburgische Staatsoper mit Mauricio Kagels „Staatstheater“ im Münchner Nationaltheater und mit „Repertoire“ des gleichen Komponisten auf der Experimentierbühne im Marstallgebäude.

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„Staatstheater“ hatte man mit einiger Spannung erwartet. Das Stück hatte in Hamburg — als Abschiedsgeschenk Rolf Liebermanns an die Hanseaten — Furore gemacht, es wurde viel darüber berichtet und diskutiert. So war jetzt in München die Enttäuschung um so größer, denn nichts konnte dieses Interesse rechtfertigen. Selbst die absurdesten Einfälle Kogels hatten noch vor einigen Jahren Witz und Phantasie. Nichts davon ist in diesem „Staatstheater“ zu finden, in dem nur noch abgedroschene Pointen aus Kabarett und Faschingsmatineen gezeigt werden, ausgenommen ein Ensemblesingen von vierzehn Sänger-Darstellern unter Leitung des Komponisten.

Am nächsten Tag konnte man im Marstall — der Experimentierbühne der Bayerischen Staatsoper — Kagels „Repertoire“ sehen. Doch das Repertoire von Herrn Kagel selbst scheint nicht allzu groß, sonst müßte man nicht eine Einzelnummer — nämlich die ersten Humpel-Kriech-Krabbel- und sonstigen Frotzelszenen aus „Staatstheater“ — als in sich geschlossenes Gastspiel noch einmal anbieten. Das ist auch für Kagel selbst nicht gut, denn beim wiederholten Hinschauen entdeckt man immer mehr die „Masche“, die sich dieser Avantgarde-Clown zugelegt hat. Früher wollte Kagel nur unterhalten, jetzt aber will er aggressiv sein. Um jedoch im Sinne Brechts etwas verändern zu wollen, genügt solche Persiflage nicht. Dabei war interessant, daß das Sammelsurium an skurrilen Einfällen im Marstall wesentlich sinnvoller placiert erschien; diese Art der theatralischen Artikulation braucht eine Werjvstattatmosphäre, während das Nationaltheäter schon vom Raum' her Ansprüche stellt, die Kagel nicht erfüllen kann. Das „Kölner Ensemble für Musiktheater“ — auch schon im „Staatstheater“ des Vortags mit von der Partie — zeigte sich auf der Höhe der Antikunst. Mauri-zio Kagel, immer guter Dinge, kam im Marstalltheater gut an, dort erwartet man nur Experimentelles und fragt nicht lange nach Form und Substanz.

Innerhalb der „Woche der Moderne“ fand im Nationaltheater die erweitere Neufassung von Walter Haupts „Laser“ statt. Sie leidet allerdings an einem falsch verstandenen Trend zur Quantität: Aus dem gespenstischen, faszinierenden Alleingang des großen Egozentrikers Fe-renc Barbay, ist jetzt ein Ballett mit 13 Solotänzern geworden, und so verteilt sich die Wirkung, anstatt sich zu konzentrieren. Hier noch einmal kurz der Inhalt: Das Ballett besteht aus vier Teilen, die assoziativ aufeinander bezogen sind. Im ersten Abschnitt entsteht analog zur Entwicklung des Laserlichts tänzerisches Leben und damit wird eine kraftvolle Vitalität und eine immanente Erotik ausgelöst. Der zweite Teil könnte aus der musikalischen Atmosphäre heraus „Meditatives“ widerspiegeln, der dritte Teil ist eine Umkehrung des ersten, sowohl formal wie thematisch. In der vierten Passage geht es um das Thema der menschlichen Wiedergeburt. Die dem Kollektiv entstammende Kreatur erliegt schließlich den todbringenden Strahlen. Innerhalb dieses Lebenszyklus, der sich nur andeutungsweise vollzieht, assoziiert das Laser-licht Stimmungen und Emotionen, die die Choreographie zu übersetzen und zu veranschaulichen versucht.

Am Ende der „Modernen Woche“ der Bayerischen Staatsoper setzte Walter Haupt noch einmal einen Akzent auf der Experimentierbühne im Marstall. Er lud das „collegium vocale köln“ in seinen Kugel-Projektionsraum mit Stockhausens „Stimmung“. Sechs sympathische junge Menschen setzten sich auf ein, in der Mitte des Kugelbaues errichtetes Podium und begannen ernsthaft und mit souveräner Beherrschung des hier verlangten Rituals, Hokuspokus zu treiben. Eine Stimmung herzustellen, ist ja nicht gar so schwer: säuselnde Geräusche, meditatives Murmeln, zungenfertiges Vo-kalgeplätscher, dazwischen ein konkretes Wort wie „donnerstag“, oder geheimnisvoll servierte, lyrische; Ergüsse, bedeutungsvoll rentiert, und schon hat uns der avantgardistische Schlangenbeschwörer Stockhausen wieder einmal das Träumen gelehrt. Wenn es nur originell wäre! Aber Stockhausen bedient sich ja nur außereuropäischer Kulturen, um uns diese Lehre zu erteilen. In diesem Fall profitiert er von Indien, und Stockhausen — von dem Luigi Nono sagt, er halte sich für den lieben Gott der modernen Musik — wird mit Sicherheit auch noch in den buddhistischen Himmel eingehen. Das Light-Environment steuerte Walter Haupt bei und er tat es in so diskreter, atmosphärischdichter, in Stockhausens „Stimmung“ einfühlsamer Weise, daß es eine echte Freude war. Die Damen und Herren des „collegium vocale köln“ und der Münchner „Kugel-Verwalter“ Walter Haupt lohnten das „stimmungsvolle“ Gastspiel.

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