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Lederer als Napoleon

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Es ist jetzt zehn Jahre her, daß der damals 34jährige englische Dramatiker Joe Orton, ein Gärtnerssohn, von seinem Freund brutal erschlagen wurde, der dann Selbstmord beging. Orton erklärte, seine Stücke würden zeigen, was innerhalb der heutigen Gesellschaft passiere. Tatsächlich passiert Ungeheurliches Tag für Tag. Nur verteüt es sich. In der Kriminalgroteske ,ßeute“, derzeit im „Experiment am Liechtenwerd“, konzentriert es sich um den biederen, eben zum Witwer gewordenen McLeavy.

Da gibt es eine giftmordende, erb- schleichende Krankenschwester, den Angestellten eines Begräbnisinstituts, der mit dem Söhnchen des Witwers einen Bankraub beging, einen korrupten, sich als Wasserwerksmann tarnenden Polizeikommissar. Die Häufung des Verbrecherischen wird durch Makabres übersteigert: Die beiden jugendlichen Räuber verstek- ken die gestohlenen Banknotenbündel bei der einbalsamierten Toten im Sarg, dann wird sie, Kopf nach unten, im Wandschrank verstaut, herausgenommen, ausgewickelt, wieder eingewickelt. Wirkt potenziert Gräßliches komisch? Ist es eine Methode, sich dessen, was man verdrängt, das einen aber erst recht bedrängt, zu erwehren?

Orton sagte, seine Stücke seien realistisch. Aber mögen diese Fakten tatsächlich in der heutigen Realität stek- ken, so fragt sich, ob eine derartige Sicht auf die Dauer wirkt. Wir seihen dieses Stück bereits vor zehn Jahren, der makabre Witz nützt sich ab, reicht er nicht tiefer. Genau das ist hier der Fall. Orton bietet „schwarzen“ Boulevard. Und eben als Boulevardstück inszenierte es mit leichter Hand Regisseur Helmut Siderits. Erläßt das Gräßliche glitzern. Es beeindrucken Inge- borg Bauböck als Krankenschwester und Maximilian-Marc Sillaber als impulsiver Kommissar. Aber auch Peter Assen, Walter Schreiber und Herbert Pendl werden ihren Rollen gerecht.

Es gibt einst vielgespielte Autoren, die völlig vergessen sind. Dazu gehört der in Schweden geboren e Adolf Paul, der in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in Berlin als Schriftsteller lebte. Eines seiner Stücke ist ein grotesker Napoleon-Einakter, „Sankt Helena“, den der Einmann-Schauspieler Herbert Lederer unter dem Ttiel „Napoleon“ für seine Produktion im Theater am Schwedenplatz adaptierte. Mit offenbar erheblichem eigenen Anteil, da nun die Bezeichnung „grotesk“ nicht mehr zutrifft.

Der vordem mächtigste Mann Europas, verbannt auf einer kleinen Insel, das gibt eine fast einzigartige Spannung des Gegensätzlichen. Der Mann langweilt sich, verbohrt sich in seiner Vergangenheit, rekapituliert das Erlebte. Er spricht von einer einzigen Kette von Enttäuschungen, einem zentralen Ziel, der Steigerung seines Ichs durch Macht, dem Drang, sich selbst zu entfalten, und erweist dabei einen Zynismus, der offenbar aller Machtgier anhaftet. In der monologischen Aussage ergibt sich ein scharf geprägtes, fesselndes verbales Selbstbildnis.

Weiß ausgekleidete Bühne, weiße Bank voreinerweißen Palme. Lederer gibt den Sätzen jene Spannung, die dem gestürzten Herrscher entspricht. Und immer wieder blickt dieser Napoleon durchs Fernrohr, aufs Meer, das sein „größter Feind“ war.

1 Die BACHGEMEINDE führt am 28. April um 19.30 Uhr im Mozart- Saal Handels Messias in der engli1 sehen Originalfassung mit Teresa Stich-Randall als Sopransolistin auf. Abgesehen von zwei Strichen wird das Oratorium in dieser Aufführung wesentlich vollständiger als sonst üblich dargeboten.

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