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Lernen, lernen und das Dritte

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In den sogenannten sozialistischen Ländern hängen überall Lenins Worte: „Lernen, lernen, lernen!” Der Prager Witz schrieb dem berühmten Schauspieler Jaroslav Vojta, der als Pointenkiller verschrien war, obwohl er in Wirklichkeit brillant Witze erzählte, folgende Geschichte zu: Nach den Leninschen Worten gefragt, meinte er „Lernen, lernen ... ja, zum Teufel, was war noch das Dritte?”

An diese Geschichte erinnerte mich eine Zeitungsnotiz über zwei bayrische Geldfälscher, die so schlechte „Blüten” fabrizierten, daß man sie sofort gefaßt und zu Gefängnisstrafen verurteilt hatte. (Ich weiß nicht, ob das Münchner Gericht im Urteilsspruch außer dem Verbrechen der Geldfälschung auch das Verbrechen der Pfuscharbeit berücksichtigte; dies wäre wünschenswert, nicht nur wenn es um Fälscher geht.)

Man könnte sagen, Lenin hatte wieder einmal recht - die Herren hätten lernen, lernen und lernen sollen, bevor sie sich auf ein so feinkünstlerisches Unternehmen wie die Produktion von Banknoten einließen. Die Tatsache jedoch ist, daß die beiden gelernt haben: Sie besuchten Reproseminare und nahmen auch Privatstunden bei einer Re-prografin, die freilich keine Ahnung hatte, welche Art von Kunstwerken ihre Schüler herstellen wollten.

Aus dieser Situation kann man zweierlei Schlüsse ziehen. Möglicherweise haben die Fälscher, von der Ungeduld, reich zu werden, getrieben, zu wenig gelernt und durch ihren Reinfall die weisen Worte Lenins von der Wichtigkeit des dreifachen Lernens bestätigt. Es konnte aber auch anders gewesen sein: Sie haben gelernt, gelernt, aber das Dritte vergessen - daß ihnen nämlich für die keineswegs leichte graphische Kunst die Begabung fehlt.

Mit dieser Einstellung wären sie nicht allein. Man glaubt nämlich heute, daß man alles erlernen kann, wenn man das richtige Buch liest oder den richtigen Kursus besucht. Ob man Hobbytischleroder Kunstkenner, Schriftsteller oder Hellseher, Meisterkoch oder Meisterliebhaber werden will - für alles gibt es Bücher und Kurse. Ob die Buchautoren und Kursuslektoren an die Effizienz ihrer Bemühungen glauben ist nicht wichtig - sie verdienen immerhin damit ihre paar Groschen, das ist Rechtfertigung genug; die Buchkäufer und Kursusabonnenten glauben jedoch fest an die unbeschränkte Macht des Lernens und müssen dann daran glauben.

So ein Lesekoch brät aus teuren Zutaten etwas zusammen, streng nach Anweisung - und es schmeckt wie ein Mahnbrief vom Finanzamt. Ein anderer steigt mit auswendig gelernten Regeln aus einer Sexfibel ins Bett und wundert sich, daß es dennoch kein Vergnügen wurde. Oder noch schlimmer: Manche glauben an das Gelernte so fest, daß sie das Essen und den Liebesakt nach Rezept gut finden, unabhängig davon, was sie dabei tatsächlich empfunden haben. Es muß auch gut sein, denn sie haben doch gelernt, gelernt ... Nur das Dritte haben sie vergessen: Daß man Für jede Kunst zumindest ein bißchen Talent haben muß. (Das Vierte vergißt man auch oft - daß nämlich mit jeder Kunst, ob Geldfäl-schen oder Kochen, Malen oder Lieben, ein Risiko verbunden ist, das einem kein Lehrer abnehmen kann.)

Auf dieser Vergeßlichkeit basieren ganze Berufe, zum Beispiel der der Psychologen. Ein Psychologe müßte ein Menschenkenner sein, denn die Psyche steckt in Menschen, nicht in Büchern; die meisten Dipl.-Psych, haben jedoch nur gelehrte Bücher studiert, voller solcher Termini, daß man schon ein guter Psychologe sein muß, um zu verstehen, warum sie die Autoren statt normaler Worte benutzen; dieses Studium ließ ihnen keine Zeit, Menschen kennenzulernen. Man kommt dann zu einem solchen - wie eine Bekannte von mir sagt - „Psychologen” mit einem echten Lebensproblem, er aber interessiert sich dafür, wie man als Säugling gekackt hat. Er muß sie nämlich in ein bestimmtes Schema aus einem bestimmten Buch einordnen.

Ich habe eigentlich nie an der Wahrheit der Worte über die Bedeutung des Lernens gezweifelt, die ja Lenin nicht als erster entdeckt hat. Jetzt überzeugt mich aber mehr die Version aus dem Vojta-Witz: Man soll lernen und lernen, aber das Dritte nicht vergessen. Und das Vierte auch nicht.

Nicht wahr, das Land ringsum blüht und grünt in diesen Tagen so üppig, daß wir die vielen Farbschattierungen kaum fassen können. Im Regen zitiert das frische helle Laub: an jungen Zweigen beben die schmalen, von feinen Adern durchzogenen Blätter: elastisch, widerspenstig schaukeln die spitzen Wipfel im Wind.

Das dunkle Grün der Nadelbäume hat bereits jene kompakte, beinahe fette Fülle, die sie. im Mischwald, abhebt von den Eichen und Buchen. Manchmal bilden sie ganze Gürtel des Schaltens, umschließen die Flecken lichter Waldungen, bieten dem Spaziergänger trockenen, von abgefallenen Nadeln bedeckten, leicht rutschigen Boden. Man findet Tannenzapfen halb im Erdreich begraben, und findet bei ihrem Anblick zur angstvollen Andacht der Kindheit zurück. Groß ist ringsum die Stille.

Lebhafter geht es zu in den jungen Wäldern, deren schütterer Schatten keinen Schutz bietet gegen das starke Licht des Frühlings. Es knarrt, es huscht, es poltert hier unentwegt, wenn auch zuweilen sehr leise. Auf modernem Laubboden zwischen runden moosbedeckten Felsklötzen ist Rübezahl zu Hause. Bei Nebel sieht man ihn lauschend am Waldrand stehen.

Und dann das leicht geschäumte, von Blüten weiß durchsetzte, hellgrüne Flattern der Obstbäume in der Abenddämmerung! Und die weiten Grasflächen des von hellen Hecken und feuchtem Gebüsch eingesäumten Rasens! Und zwischen Grashalmen baumelnd die festen, knotenhaften Knospen wilder Blumen!

Still entstehen die fein gewobenen Dickichte des Auwalds. Und das Schweben der Gärten! Das wilde Wuchern der Kräuter! Die jugendliche Raffinesse hochgezüchteter Blüten! Horche. Lausche. Denk. GS

Zu guter Letzt

Carter und Breschnew streiten sich darum, welches System das beste sei, das kommunistische oder das kapitalistische. Sie beschließen, einander nach drei Jahren wieder zu treffen. Nach drei Jahren ist es soweit. Breschnew: ..Ich habe es ja gesagt. Schau nur. was in der Zeitung steht: ganz USA kommunistisch!' ” ..Das ist noch gar nichts”, erwidert Carter. ..in der Zeitung sieht aber auch: erneute Unruhen an der finnisch-chinesischen Grenze!' ”

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