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Lieber keine Gäste

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Wie man etwas — nein, nicht jemanden — anzeigt, wie man jemanden — nein, nicht etwas — einlädt, weiß man. Weiß man’s nicht, kann man es lernen oder nachle- sen. Da gibt es feste Regeln und je nach Gefühl und Geschmack, Bildung und Einbildung Rituale.

Die einen lieben es byzanti-

nisch-barock, die anderen schnoddrig-poppig — aber Formen und Formelngibt es allenthalben. Vor drei Wochen zeigte mir ein entfernter Bekannter an, daß es ihn nicht sonderlich störte, wenn wir bei ihm am soundsovielten des laufenden Monats vorbeikämen. Es gäbe dafür manchen Anlaß etc.etc.; Antwort wäre gar nicht erst erbeten.

Was sich da so modern kühl und kahl anlas, entpuppte sich als eine höchst feudale Angelegenheit für mehrere hundert Personen anläßlich eines sowohl persönlichen Jubelfestes als auch des Errei- chens von ungeahnten Umsatzzahlen des vom Einladenden geleiteten Unternehmens. Ida und ich — wir hatten die näheren Umstände des Gastgebers längst vergessen — hatten uns, dem Stil der Einladung entsprechend, für eine Studentenfete kostümiert. Mit unseren Schlosseranzügen und Gammelparkers wirkten wir zwischen den eigens für das große Fest couturierten Stoffwolken und den ordenumbaumelten Fräcken nicht unexotisch.

Die Reaktion auf unser am nächsten Tag fälliges routinemäßiges Dankestelefonat schien uns

gleichwohl kühl. Weitere Rückmeldungen stehen noch aus.

Trotz dieses Mißgeschickes sind wir weiter davon überzeugt, daß die Sache mit der Einladung durchaus durchschaubar und mit kleinen Unsicherheitszonen auch überschaubar ist. Die meisten Klippen sind ja längst bekannt: niemand würde es wagen, auf die freundliche Aufforderung: „Schaut doch einmal bei uns vorbei. Wir würden uns freuen — ganz sicher. Ehrlich“ auch tatsächlich bei den Einladern einmal vorbei- zuschaun. Das unangemeldete wie unerwünschte Auftreten würde bestenfalls Verachtung, wahrscheinlich aber lähmendes Entsetzen hervorrufen.

Hat man Schwierigkeiten mit der rechter» Form und findet sich in der Fachliteratur für gezirkeltes Benehmen nicht ausreichend zurecht, so tut man es am besten schriftlich und läßt sich bei einge-

führten Drucksortenherstellern beraten.

Genug der einfachen Fälle, genug des Einladens — egal, ob die Geladenen dann auch kommen und allerlei Belastungen verursachen. Das wahrhaft Schwierige ist ja gar nicht das Einladen, das Herbeischaffen von Gästen. Das Komplizierte ist das Verhindern von gastlichen Heimsuchungen.

Ich meine nicht etwa das Ausladen von schon Eingeladenen, nein, nein, ich meine das Gar- nicht-erst-einladen. Das Problem wächst in letzter Zeit: der kostengedrückte Bürger lechzt zunehmend nach Einladungen, die seinen eigenen Haushalt entlasten. Kein Abendessen so billig wie das im Hause eines Feiernden

Ist man nicht eigens eingeladen, kann man täglich, sofern man von einem freudigen Ereignis Kenntnis erlangt — zum Beispiel von der Anschaffung eines benzinschonenden Kleinwagens zum Listenpreis, von der Auszahlung der Arbeitslosenprämie an eine noch niemals berufstätig gewesene Ehefrau, oder der versorgungssichernden Scheidung vom ältlichen Ehemann aus den Kreisen der lokalen Hochfinanz—zur Gratulationscour anmarschieren. Und dann ist Bewirtung fällig; koste es, wen es wolle.

Ich freilich kann mir so viel Zuneigung einfach nicht mehr leisten. Man müßte ja Dutzende von Ereignissen in der Nachbarschaft ausfindig machen, damit man die Ausgaben eines eigenen glücklichen Anlasses wieder hereinbekäme.

Letzten Dienstag wurde die latente Gefahr für uns akut: ich hatte leider Geburtstag. Keinen besonderen, keinen runden, keinen entscheidenden — nur so, einen gleichsam zwischendurch. Aber ich sah sie schon alle: die Gratulationsschmarotzer, die Beglückwünschungs-Nassauer, wie sie mit verdrückten Wiesenblumen und strahlendem Einladungsgrinsen vor meiner Wohnungstüre stehen würden. Da kam mir der rettende Einfall. Wer wüßte schon ganz genau, wann mein Geburtstag wäre.

Am Montag setzte ich eine Anzeige in das meistgelesene Lokalblatt: „Für die giften Wünsche und milden Gaben anläßlich meines gestern in aller Stille verlaufenen Geburtstages möchte ich mich bei allen Verwandten und Bekannten bedanken, die in irgendeiner Weise dazu beigetragen haben“. Das würde wirken. Ich sah dem Geburtstag am Dienstag mit Ruhe entgegen.

Doch ich hatte nicht mit der bösartigen Hartnäckigkeit meiner Zeitgenossen gerechnet: bis siebzehn Uhr waren bereits über 134 Freunde und Bekannte gekommen — doppelt so viel wie beim letzten Jubelfest: Sie wollten sich entschuldigen, daß sie meinen Geburtstag vergessen hätten.

An den Kosten dieses Geburtstages leiden Ida und ich noch bis zum nächsten Jahr. Es wird uns nicht noch einmal passieren! Wir laden doch wieder ein. Da kommen erfahrungsgemäß weniger.

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