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„Linker“ Realismus, glatte Eleganz

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Neun Millionen Tote, 21 Millionen Verwundete. Das war die Bilanz des großen Krieges von 1918. Vorbei der bis zur Gewalttätigkeit gesteigerte Fortschrittsglaube, vorbei die Siegeshysterie und Massensuggestion in den Staaten Europas, vorbei die Reiche selbst. Die Kunst steckt noch mitten drin in einer Revolte: Kubismus, Dada, Surrealismus, Suprematismus, Konstruktivismus, Futurismus, Abstraktion… ein Taumel der Begriffe, ein Taumel utopischer Ziele, aber auch anderseits des radikalen Zurücksteckens: Die Experimentierwut und die Traumbesessenheit, der Zufallskult und die Bürgerschreckspiele der Dadaisten und Surrealisten wichen allmählich einer Beruhigungsphase, die wir heute als „Neue Sachlichkeit“ zusammenfassen. Und „Neue Sachlichkeit und Realismus“ heißt nun eine Großausstellung, die - vom Kulturamt der Stadt Wien und vom Wissenschaftsministerium gemeinsam veranstaltet - bis 24. Juli im Museum des 20. Jahrhunderts zu sehen ist.

Es ist natürlich Kunst einer Epoche niemals so „eindeutig“ festzulegen. Zuviel Fließendes. Zuviel Phänomene gleiten ineinander. Das soziale Pathos der „neuen Sachlichkeit“ findet sich etwa in der Kunst des Dritten Reiches wieder, ja leitet direkt dorthin über, sowie Elemente der Art déco vom Dritten Reich assimiliert wurden. Die realistische Spielart, die sich auf einfache klare Motive und eher alltägliche

Themen konzentriert, spielte dann nach dem Krieg in der DDR und UdSSR noch eine entscheidende Rolle. Bei uns wurde sie etwa nach Beginn der sechziger Jahre wieder aufgegriffen. (Wie wir schon vorher, in der Kunst des 19. Jahrhunderts, zum Beispiel realistische und illusionistische Phasen und Wechselwirkungen feststellen können.)

Aber auch an sich gesehen,spielt uns diese imponierend gestaltete Schau der „Neuen Sachlichkeit“ vor, wieviel

Varianten da auf Realismuswellen möglich waren, wie viele Ausdrucksmöglichkeiten sich boten. Man braucht nur an Otto Dix und George Grosz zu denken, die aus dem Expressionismus herauswuchsen, oder anderseits an Christian Schad und Carl Hofer, die auf den ersten Blick „neoklassizistisch“ scheinen, oder daneben an Tendenzen romantischen Altdeutschtums, der Idylle oder der Pro-let-Kunst nach Art eines Rudolf Quer- ner.

Was mich an dieser Ausstellung besonders interessiert, ist der Versuch der Querverbindungen: Entwicklungen wie sie in Deutschland und Italien, ja sogar in den USA sich in den zwanziger Jahren anbahnten, freilich jeweils mit verschiedener Intensität und verschieden großem Engagement vorgetragen wurden. In Italien etwa in der „pittura metafisica“ eines de Chirico, Carrà und Morandi, daneben in der

„valori plastici“-Malerei, deren Anliegen freilich mehr im Poetischen zu suchen sind; während Deutschland einerseits seinen „linken“ Realismus scharfer Sozialkritik profilierte und daneben die glatte Eleganz eines Schad, Schrimpf oder Sedlacek bis ins Modische vorantrieb. Und dann Amerika mit seiner sachlichen Gegenständlichkeit: kühl, formschön, Signale in Richtung Foto realismus (etwa bei Großberg), Assoziationen zu Vor- vor-Popigem (bei O’Keefe oder Stuart Davis). Eine für lange Zeit nur auf den amerikanischen Kontinent bezogen gebliebene Kunstphase, aber eben noch lebendig, als Europa längst nach ganz anderen Ansatzpunkten suchte… Was für Pop viel später Bedeutung gewinnen sollte.

Also eine Kunstszene, die es verdiente, einmal sehr genau und sehr kritisch untersucht zu werden - vor allem auf die Vielfalt von Querlinien, von hin- und herspringenden Tradi tionen (man denke auch an die Folgen der Emigration!), von durcheinandergeschüttelten Elementen, die zwar lange Zeit ins Wellental künstlerischen Interesses gerutscht sind, aber doch immer wieder auftauchten und noch öfter untertauchen werden.

Und auch eindrucksvoll sind diese 180 Werke, die in Wien zu sehen sind. Jedes Büd für sich bestätigt, wie wenig malerische Qualität von Stilen abhängt, beweist auch, wie reich an Facetten diese Jahre 1918 bis 1938 waren. Höchste Zeit, diese Kunst nicht nur als Gratwanderung die prominenten Namen Dix, Grosz, Schad entlang zu sehen, sondern einmal die Bodenzonen zu durchforschen. Dort, wo sich die Tendenzen im kleinen, in der Reproduktion simpler Motive, in der Trivialität, im Konventionellen spiegeln. Und besondere Aufmerksamkeit verdient der kleine, rein quantitativ sich beinahe ausnehmende österreichische Beitrag: Wacker, Gütersloh, Hauser, Sedlacek, Silberbauer. Da müßten jetzt Kleingalerien wie Pabst oder Asenbaum eigentlich mit Ausstellungen in die Bresche springen, die die Qualität österreichischer „Sachlichkeit“ im Detail beweisen.

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