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Mit gemischten Gefühlen

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Das Konzert des ORF-Chores und Symphonieorchesters hat man schon zwei Tage vor der Wiener Aufführung in Graz oder auch zu Hause im Radio hören können. Wer also vorbereitet die drei originellen Werke hörte, konnte Luigi Nonas skeptische Einstellung zu der Aufführung nicht teilen. Sicherlich, neue Musik kann immer noch mehr Proben vertragen, aber ist das Publikum auch bereit, die Kosten zu tragen?

Nonos Per Bastiana Tai-Yang Cheng bezieht sich auf eine rotchinesische Weise über den Tagesanbruch, geschrieben für die Tochter Bastiana. Über einer bewußt diffus gehaltenen Klanggrundschicht brechen vorwiegend Bläserinterjektio-nen aus wenigen Tönen, oder, in der Sprache des Komponisten: aus „komplettierender Chromatik* mit „vollstimmigen Klängen“ erheben sich „Mikrostrukturen aus Vierteltonintervallen“.

Friedrich Cerhas Fasce für großes Orchester verarbeitete eigentlich nicht unähnlich „Aggregate nebeneinanderliegender Töne“ in wechselseitigen Beziehungen zueinander, ließ sie in einer gewaltigen Klang-ballung gipfeln und schließlich, im Strukturellen immer mehr abgebaut, in einem Einzelton ausebben. Wiewohl das Stück seine Längen hat, war es doch abwechslungsreicher und kleinräumiger, somit im allgemeinen interessanter als das Opus des Italieners.

Der Dirigent des anstrengenden Konzertes, Richard Dufallo, gilt hierzulande ja schon als „Ives-Mann“, und so durfte man von der Holiday-Symphonie von Charles Ives allerhand erwarten. Eigentlich sind es vier Stücke, die zwischen 1904 und 1913 entstanden, teilweise schrecklich banal, über weite Strecken wieder zauberhaft sensibel und erstaunlich modern sind: Polytonales, ja Atonales scheint hereinzuklingen, nur hat der Mann, der sich selbst als einen Sonntagskomponisten verstand, auf nichts, aber schon gar nichts Rücksicht genommen, sonst hätte in ihm die Neue Welt einen Künstler gewinnen können, der, moderner als Mahler, zwischen diesem und Schönberg gestanden wäre — nicht nur zeitlich, sondern auch in der Bedeutung. Chor und Orchester waren mit innerer Anteilnahme bei der Sache, Dufallo hat man die Begegnung mit drei interessanten Werken zu danken, die aber doch mit gemischten Gefühlen erfüllten, trotz des unbestreitbaren Erfolges beim Publikum der Musikalischen Jugend.

*

Gemischte Gefühle hatte tags zuvor auch der finnische Brahmssaal-Debütant Tom Krause mit seinem

Liederabend ausgelöst. War die Stimme für drei anakreontische Schubert-Lieder viel zu schwer und zu wenig sicher geführt, erreichte er in einer Gruppe von Brahms-Gesän-gen keine besonderen Ausdruckstiefen, so wirkte er nach der Pause doch wie ausgewechselt, zeigte in drei Chansons von Ravel Temperament und dramatische Begabung und blieb dieser glücklich eingeschlagenen Linie in den bewegteren einiger Lieder von Hugo Wolf („Rattenfänger“!) treu. Es wird in der Zukunft wohl an einem klug auf seine Stärke abgestellten Programm liegen, daß Tom Krauses Erfolg einhellig wird. Sein Klavierpartner Zrtcin Gage braucht sich nicht zu ändern: er war ausgezeichnet. Herbert Müller

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