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Muß der Vogel auf die Couch?

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Eines ist sicher: Sollten wir hier zu dem Schluß kommen - was fraglich ist, kommen doch Skeptiker nie zu einem Schluß -, er, der österreichische Staatsadler habe eine Psychotherapie nötig, so müssen wir ihn zuallererst an einen praktischen Arzt überweisen, auf daß festgestellt werde, ob nicht am Ende ein Kopftumor, ein Altersdiabetes oder eine Gehirnerschütterung (aufgrund eines Flugunfalles etwa) seinen Identitätsproblemen zugrundeliegt; - so will es das Gesetz. Das ist freilich das einzige Sichere.

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Eines ist sicher: Sollten wir hier zu dem Schluß kommen - was fraglich ist, kommen doch Skeptiker nie zu einem Schluß -, er, der österreichische Staatsadler habe eine Psychotherapie nötig, so müssen wir ihn zuallererst an einen praktischen Arzt überweisen, auf daß festgestellt werde, ob nicht am Ende ein Kopftumor, ein Altersdiabetes oder eine Gehirnerschütterung (aufgrund eines Flugunfalles etwa) seinen Identitätsproblemen zugrundeliegt; - so will es das Gesetz. Das ist freilich das einzige Sichere.

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Gehen wir also - und das ist tollkühn in einem Land, in dem das Denken unter die eher minderwertigen Freizeitbeschäftigungen zählt -davon aus, daß er denkt, unser Adler, das heißt, nachdenkt über seine Seelenverstimmung. In Betrachtung seiner Umgebung und deren Moden muß er feststellen, daß es für jemanden, der so eindeutig postpubertär ist wie er, um nicht zu sagen, der in die Jahre kommt, hoch an der Zeit ist. sich selbst in Frage zu stellen.

Zum Zweck des besseren Erkennens seines Wesenskernes beschließt er, zuerst Ballast abzuwerfen, und begibt sich - zugegebenermaßen schwer verunsichert durch den Zwangsgedanken, von dort als Blaumeise wieder wegzugehen - ins Pfandhaus. Erlegt vor dem jungen, dynamischen Schätzmeister auf den Tisch, was er bisher in beziehungsweise an seinen Fängen getragen hat. - Es tue ihm leid, sagt der Schätzmeister, doch erstens befinde sich der Goldpreis momentan im tiefsten Keller, zweitens sei man sich einig darüber, daß Hammer, Sichel und gesprengte Ketten als obsolet zu gelten hätten, au ßer-dem absolut unverkäuflich seien, und drittens habe man nun endlich zugeben müssen, daß ein Exemplar eines Bundesadlers in diesen europäischen Breiten vollauf genüge. - Wer das sei: „man"? fragt schüchtern der Adler. -Ich bin EGler, mein Herr, so darauf der Schätzmeister (jung und dynamisch), ich bin dabei! - Er ist dabei, denkt der Adler, packt sein Klumpen und geht. Draußen vor deVn Tor hört ereine Blaumeise zwitschern und fühlt sich eigenartigerweise etwas konsolidiert.

Zu Hause, in seinem Staatsadler-hOrst, lockert er sein Gefieder und listet auf:

□ Der Schätzmeister ist dabei. -Dabeisein ist offensichtlich alles.

□ Ein Bundesadler genügt in diesen Breiten vollauf. - Einer anstelle von vielen. Es geht nicht mehr um das Individuum, sondern um seine Ersetzbarkeit.

□ Hammer, Sichel und gesprengte Ketten haben als obsolet zu gelten. -Was man dir in die Hand gedrückt hat. wird, kaum hast du zweimal mit den Augen gezwinkert, für veraltet erklärt. Die Dinge verlieren in zunehmendem Tempo ihre Gültigkeit.

□ Der Goldpreis befindet sich im tiefsten Keller, und es drängt sich der Verdacht auf, daß er dort bleibt. -Nicht einmal auf das Beständigste kann man sich mehr verlassen. Auf nichts ist Verlaß, einzig darauf, daß im nächsten Augenblick alles anders sein wird.

Schluß aus den genannten Punkten: Den Schätzmeister interessiert nicht einmal sein eigener Wesenskern. Er existiert aus seiner Funktion für das System. Er ist ein Funktionär des Fortschrittes. Er ist ersetzbar und morgen veraltet. Aber er ist dabei.

Eigentlich, denkt unser Bundesadler, habe ich ja gar nichts dagegen, so zu bleiben, wie ich bin. So leise er das auch gedacht hat, bekommt er dennoch ein schlechtes Gewissen. - Das liegt an den Schätzmeistern, denkt er. - klammheimlich haben sie ein altes Gesetz umgekehrt: Früher mußte sich rechtfertigen, wer etwas veränderte. Heute wird die Rechtfertigungsnotwendigkeit unerbittlich demjenigen aufgelastet, der die Veränderung verweigert. Der verbotenste allefrfcätze: Ich bin, der ich bin. - Der wichtigste aller Sätze: ich bin flexibel. Zusätzlich werden die Veränderungsforderungen dieser Schätzmeister immer ungeheurer. - Meine Ahnung hat mich nicht getrogen, denkt der Adler, heute Adler, morgen Blaumeise: weil das System es so haben will! - Unser Adler erinnert sich an eine Lebensregel seines Urgroßvaters, jener doppelköpfigen Legende: Ein Adler hat nur zwei Aufgaben: erstens zu thronen; zweitens sich ab und zu majestätisch in die Lüfte zu schwingen. Letzteres setzt er augenblicklich in die Tal um, das heißt, er schwingt sich auf. zieht seine Kreise und hält Ausschau: vielleicht nach einem Schätzmeister, dem er auf den Kopf scheißen kann: sicher nicht nach einem Psychotherapeuten.

Nachbemerkung: Da schwebt et also, majestätisch naturgemäß, und hält fest die Insignien seines Widerstandes. Man stellt sich bange die Frage, ob sich des Adlers Anfall von Veränderungsbereitschaftsverwei-gerung zur Dauerhaltung auswach-sen oder am Ende doch münden wird in einen (spiraligen, behaupten die Jäger) Absturz in neuerliche seelische Zerrüttung. In der Annahme dieses Unglückes stehen wir (auf fest österreichischem Boden, das allerdings) letztendlich vor einem Problem: Wer bezahlt eine Psychotherapie des Staatsadlers? - Der Vogel beziehe keinerlei Gehalt, teilt die Bundespräsidentschaftskanzlei mit. Die Krankenkassen schließlich meinen, ein Staatsadler sei nicht versicherbar. - Er könnte vielleicht ins Pfandhaus gehen und eines seiner Anhängsel versetzen. Der Goldpreis befindet sich freilich momentan im liefsten Keller, wird gesagt.

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