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Neues im alten Schloß

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Das Burgenland hat seine Landesgalerie. Ihre erste „Ausbaustufe“, vier unter Wahrung der klassizistischen Bausuibstanz für Museums-zwecke adaptierte Räume im Eisenstädter Esterhäzy-Schioß, wurde am 2. Juni von Hofrat Dr. Johann Jan-drasite dem zum Galeriedirektor ernannten Künstler Feri Zotter mit der heute wie einst eindrucksvollen Geste einer feierlichen Schlüsselübergabe anvertraut. Kulturlandesrat Dr. Gerald Mader hatte den Unterrichtsminister, den Landeshauptmann, den Maler Anton Lehmden, die Herren der Landesregierung, Kirchen- und Behördenvertreter, Presseleute und eine fast beängstigend dicht gedrängte Schar von Gästen begrüßt. Das Eichendorff-Quintett hatte mit der exakten und durchsichtigen Wiedergabe eines dreiteiligen Satzes aus der „Feldpar-thie in C-Dur“ Joseph Haydn, dem Genius des Orts, gehuldigt. (Die kleine Feier schloß dann mit Mozarts Bläserquintett F-Dur.) Das Eigentliche aber geschah mit der Ansprache des Landeshauptmannes, der das Lakaiereignis zu einem österreichischen Exempel auszuweiten wußte. Kery erinnerte nämlich, improvisationsfreudig wie so oft, daran, daß an diesem Tag und hier in diesem Schloß die Kluft eines verdämmerten Jahrhunderts überbrückt und überschritten worden ist.

Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren es die Schlösser der großen ungarischen Familien, die in dem schmalen Grenzstreifen, der dann zum österreichischen Burgenland wurde, Kultur an sich zogen und Kultur ausstrahlten. Mehr denn je wurde dies deutlich, als die Ester-häzy am Ende der 'mariatheresiani-schen Epoche ihr „Feenreich“ (wie Goethe es nannte) aus dem von Prunk überquellenden Fertöd in das josephinisch strengere Eisen-Städter Schloß verpflanzten, mitsamt ihrer Verwaltungszentrale, mitsamt ihren Theatergruppen und ihrem Orchester, mitsamt Joseph Haydn, dessen Gutachten für die akustische Adaptierung des Festsaales ausschlaggebend wurde.

Dann aber, in den Tagen der Bürgerzeit, wurden die adeligen Landsitze funktionslos und fielen in Dornröschenschlaf. Kulturelles Leben konzentrierte sich in den großen bürgerlichen Städten, und die großen Städte waren weit. Im 20. Jahrhundert wurden die Schlösser allenthalben, und nicht nur im Burgenland, teils zu Stätten der Freizeitgestaltung industrieller Scharen, teils zu Verwaltungszentralen kombinierter landwirtschaftlich-gewerblicher Betriebe. Als Bauten festlich-repräsentativer Lebensführung waren sie sinnlos geworden, eine Last für den Besitzer, der sich aus traditionellen und sentimentalen Gründen nicht von ihnen zu trennen vermochte — mitunter bis zum wirtschaftlichen Weißbluten.

Paradoxe Zwischenfälle konnten nicht ausbleiben. Man erinnert sich noch der unerfreulichen Streitigkeiten und des nicht immer sachlichen

Aufheulens polemischer Presseorgane, als Paul Esterhäzy, von Räkosis Geheimpolizei geschunden, im Mindszenty-Prozeß zur Schau gestellt, 1956 durch den ungarischen Aufstand aus der Haft befreit worden und menschenfeindlich, unansprechbar, verschreckt in eine Zürcher Mietwohnung geflohen war, wo er sich darauf beschränkte, fürs erste zu jeden an ihn herangetragenen Vorschlag nein zu sagen. Seither sind viele Jahre vergangen. Das Burgenland und der Besitzer der größten burgenländischen Betriebseinheit haben zueinandergefunden, eine Symbiose hat sich angebahnt, die beiden Teilen zu Nutzen kommt. Symbiose der kulturellen Repräsentation des Landes mit der Zentrale des Esterhazy-Konzerns in demselben historischen Schloß, das damit wieder zum schlagenden Herz des Burgenlandes wurde.

Zuerst trat Haydns großer Konzertsaal aufs neue in Funktion. Es folgten, nunmehr seit etwa einem Jahr zu Empfangsräumen der Landesregierung geworden, die straßenseitigen Zimmer mit ihren Keramiköfen, Stuckplafonds und gemalten Scheinarchitekturen, es folgten heuer die ersten Räume der eines weiteren Ausibaus noch harrenden Landesgalerie, lichtdurchflutet, klimatisiert, über den ebenfalls restaurierten großen Treppenaufgang erreichbar. Anton Lehmden, als Schloßherr von Deutschkreutz Wahlburgenländer, machte hier mit Graphiken und Aquarellen den Anfang. Kedl, Plachky, Eisler und Richly werden folgen.

Die Auswahl aus Lehmdens Gesamtwerk, sehr bewußt auf das Burgenland und auf Wien bezogen, gewährt einen ausgezeichneten Einblick in die stille und hintergründige Welt des vielbeschrieibenen, vielgedeuteten Meisters, in die Welt der schwebenden Fische, der niederstoßenden Riesenvögel, der aufbrechenden, mehrgeschossigen Landschaften, die ihre Grundwässer, Gräber und tektonischen Strukturen erschließen oder auch, unter tintenblauen Gewitterwolken, aus Himmeln auf sich selber niederstürzen. In die Welt der mit genauer Feder gezeichneten Bäume, Gräser, Teiche und Schlösser. Wie Lehmdens Kunst Versunkenes und Gewesenes in die Abstraktionen und Symbolismen der Gegenwart integriert, so und nicht anders scheint es dem zum Selbstbewußtsein und zur Selbsterkenntnis erwachten Burgenland gelungen zu sein, vorbildlich für ganz Österreich, in seinem wiedererwachten Esterhäzy-Schioß eine jetzt nicht mehr verleugnete Vergangenheit in die lebendige Gegenwart zu integrieren und damit Zukunft zu gewinnen.

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