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„Nicht durch Druck zur Explosion!“

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Rudolf Hausner, prominentes Mitglied der „großen Fünf“ der Wiener Schule des phantastischen Realismus und gerne ausführlicher Selbstanalyse bezichtigt, spricht in folgendem Interview einmal nicht über problematische Seelenspaltung, sondern über die Situation an den Kunstakademien. Selbst als Dozent an der Hamburger und Wiener Akademie der bildenden Künste tätig, beschäftigt er sich eingehend mit dem zu reformierenden Verhältnis Lehrer-Schüler und daraus sich ergebenden neuen Methoden des Unterrichts.

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Rudolf Hausner, prominentes Mitglied der „großen Fünf“ der Wiener Schule des phantastischen Realismus und gerne ausführlicher Selbstanalyse bezichtigt, spricht in folgendem Interview einmal nicht über problematische Seelenspaltung, sondern über die Situation an den Kunstakademien. Selbst als Dozent an der Hamburger und Wiener Akademie der bildenden Künste tätig, beschäftigt er sich eingehend mit dem zu reformierenden Verhältnis Lehrer-Schüler und daraus sich ergebenden neuen Methoden des Unterrichts.

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FURCHE: Herr Professor, wie stehen Sie zu der gegenwärtig doch etwas prekären Situation, in der sich eine Kunstakademie befindet?

HAUSNER: Ich bin der Meinung, daß der Lehrer einer Kunsthochschule außer seinen Subjektivismen, die für die Studenten nur zum Teil akzeptabel sind, objektives Informationsmaterial zur Verfügung haben muß. Das heißt, daß heute ein Lehrer, der mit einer zu einem gesellschaftlichen Bewußtsein erwachten Studentenschaft konfrontiert ist, selbstverständlich soviel Information haben muß wie seine Hörer, sonst ist er in einer fatalen Lage. Er hat also selbstverständlich von Psychologie und Soziologie eine gewisse Vorstellung zu haben, er hat aber auch im politischen Terrain informiert zu sein, er hat über die ganzen aktuellen Tendenzen innerhalb der bildenden Kunst exakte Vorstellungen zu haben. Er hat also über seine persönliche Anschauung hinaus objektives Informationsmaterial an die Studenten heranzutragen mit dem Auftrag, daß sie selbst dieses Material wieder kritisch prüfen und durch Aversion oder Identifikation ihre eigene Persönlichkeit erkennen.

FURCHE: Sie sehen also im Lehrer keinesfalls die absolute Autorität, sondern vielmehr so etwas wie einen Gebburtshelfer.

HAUSNER: Der Lehrer hat dem Studenten zu helfen bei der Entwicklung seiner Person. Aber der Lehrer weiß auch noch nicht, wer der Student ist. Wenn da jemand daherkommt, der heißt Meier — na, weiß ich, wer der Herr Meier ist? Der Student wird sich also an Hand des Materials, das ihm vorgelegt wird, erst einmal orientieren müssen und dabei seine eigenen Tendenzen erfahren. Darum ist jetzt zum erstenmal der Studierende selbst sein Lem- programm. Er ist nicht mehr einem Lehrziel ausgesetzt, das aus der Ideologie des Lehrers stammt.

FURCHE: Das ist wohl ein

Wunschmodell, das Sie hier vorführen, welches noch keineswegs verwirklicht wurde.

HAUSNER: Da tun Sie mir persönlich sehr unrecht. Sie kennen nicht meine persönlichen …

FURCHE: Nein, ich spreche jetzt nicht von Ihnen, sondern von der allgemeinen Situation. Ich meine die allgemeine Situation Lehrer—Schüler. Das ist — ja, ein Wunschmodell.

HAUSNER: Ja, ja, aber es ist durchaus bereits realisierbar. Wenn Sie sich die Bilder anschaun — Sie werden sehen, daß meine Studenten keine Uniform tragen. Es gibt keine zwei Studenten in meiner Klasse, die das gleiche machen, und alle miteinander machen sie auf gar keinen Fall den Hausner nach. Denn das ist ein striktes Verlangen von mir. Die Studenten haben ihre Sache zu finden, sie müssen erkennen, daß alle Kunst, die schon existiert, nicht die ihre ist. Sie haben an der Zukunft zu arbeiten und sich nicht mit der Imitation der Vergangenheit zu beschäftigen. Also das Nachlaufen hinter irgendwelchen Mustern, die schon existieren, ist von vornherein falsch.

FURCHE: Herr Professor,

warum sind Sie eigentlich vor Ihrem Abschluß von der Akademie weggegangen?

HAUSNER: Ich habe kein Diplom gemacht, weil ich nicht annahm, daß man mit einem Diplom iregendetwas belegen kann. Wie soll ich sagen — für die Malerei ist es egal, ob Sie ein Diplom irgendeiner Kunsthochschule haben oder nicht, entscheidend ist, was Sie gearbeitet haben, entscheidend ist, was Sie leisten.

FURCHE: Also fanden Sie den Akademiebetrieb unbefriedigend?

HAUSNER: Ja — zu meiner Zeit. Denn ich habe bei einem Lehrer studiert, der mich eben jene Erfahrungen machen ließ, die mich heute dazu veranlassen so zu handeln, wie ich es jetzt tue. Schaun Sie, früher, da war das an den Kunsthochschulen so,

da gab es den starken Mann, der hat eine Meisterklasse geleitet, und hat von seinen Studenten verlangt, daß sie nicht nur seine Weltanschauung teilen, sondern auch seine ästhetischen Rezepte imitieren. Wenn das der Student nicht gemacht hat, ist der starke Mann plötzlich so schwach geworden, daß er den Widerstand des Studenten nicht ertragen konnte und ihn einfach hinausgeworfen hat. Eine Diskussion, eine Kon- frontatiön hat ei nicht gegeben, sondern die Autorität war etwas Monolithisches, in das sich der Student eben einzufügen oder dem er sich zu unterwerfen hatte. Neben diesem System, das noch immer zum Teil auf den Kunsthochschulen praktiziert wird, gab es dann das Bauhaus in Deutschland. Ins Bauhaus wurde der Student auf der einen Seite hineingeschoben und kam auf der anderen Seite fertig paketiert als Bauhäusler heraus. Beide Methoden gehen nicht mehr, eine dritte bietet sich an und ich setze mich mit aller Leidenschaft dafür ein. Es ist die, daß der Lernende selbst sein Programm darstellt.

FURCHE: Und das bedeutet?

HAUSNER: Daß nicht jene Situation entsteht, die ich zu genau kenne, in der ein Student praktisch nur im Zorn zu sich selbst finden kann. Wenn nämlich die Unterdrückung so weit gediehen ist, daß er es nicht mehr aushält, daß ihm der Kragen platzt, daß er sich mit einer Explosion freimacht von dieser Domestizierung — dann findet er auch zu sich selbst. Da dies jedoch nur wenige Personen zu leisten imstande sind, bleiben die anderen alle in ihrem Kadavergehorsam einem Meisterschullehrer ergeben und bilden jenen grauen Schleim von Mittelmäßigkeit, der leider Gottes in der bildenden Kunst im überreichlichen Maße gegeben ist

Und sehen Sie, das neue Modell, das ich praktiziere, ist diesbezüglich anders geartet. Es ist nicht aufgebaut auf Emotion und Affekt, der Student soll nicht durch Druck zur Explosion gezwungen werden, sondern es ist auf der freien Anerkennung des Individuums aufgebaut. Meine Studenten sind nicht meine Untertanen, sie sind auch nicht meine Prätorianergarde, die wie eine Leibwache um mich herumsteht.

Mit Professor Rudolf Hausner sprach Hilde Schmölzer.

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