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Nicht nur Flöhe husten hören

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Daß Flöhe zur Gattung der Schmetterlinge zählen, wird niemand glauben wollen. Es spricht ja auch nur ein einziger Umstand dafür, daß nämlich ihre weißen Larven, wenn sie aus dem Ei gekrochen sind, sich - nach elf Tagen — verpuppen und — wiederum nach elf Tagen — aus dem Kokon als kleine Flöhlein herauskommen. Weshalb gerade elf Tage? - Weshalb nicht?

Flöhe sind also keine Schmetterlinge, aber vielleicht gehören sie zur Gattung der Grillen? Die Wissenschaft vom Floh, die übrigens noch erstaunlich schlecht entwickelt ist, hat nämlich herausbekommen, daß Flöhe am Bauch eine Vorrichtung tragen, die an eine Miniaturharfe erinnert, und an den Hinterbeinen kleine Dornen, die dazu bestimmt erscheinen, in diese Harfe einzugreifen. Nun weiß man ja, daß superkluge Menschen „die Flöhe husten hören“, aber ihre Harfentöne sind noch von keinem menschlichen Ohr aufgenommen worden, weil das Flohinstrument offenbar viel zu leise oder vielleicht auch in einer uns unzugänglichen Tonlage gespielt wird. Die Voraussetzung für ein Zirpen oder Piepsen ist jedenfalls gegeben, und wenn einmal die Wissenschaft die nötigen Tonverstärker entwickelt hat, wird man vielleicht dem Flohkonzert auf einer Hundebrust lauschen können wie den Grillen in einer Sommernacht.

Schwerlich aber auf einer behaarten Männerbrust, denn angeblich ist der Menschenfloh ausgestorben. Das ist allerdings nicht ganz sicher, man soll den Abend nicht vor dem abendlichen Flohbiß loben. So kommt aus der Sowjetunion die Kunde, man habe in der belgischen Botschaft in Moskau eigens per Flugzeug Insektizide angefordert, um der Flohplage Herr zu werden. Auch von Rom hörte man Ähnliches, und in Sizilien soll sogar eine Floh-Armada eine Gerichtsverhandlung verhindert haben. Die bissige Schar war nachts durch die zur Durchlüftung offengelassenen Türen eingedrungen. Wenn man bedenkt, daß Flöhe über hundert Tage hungern können, weiß man zu ermessen, mit welcher Gier die offenbar frustrierten Hüpfer sich auf Richter und Verteidiger stürzten. Nachweislich aber hat es vor Jahren eine katastrophale Seuche im Flohvolk gegeben, wodurch deren Stand so stark reduziert wurde, daß heute Flohzirkusdirektoren größte Mühe haben, Artisten aufzutreiben, auch wenn sie alle Vorurteile gegen Gastarbeiter in den Wind geschlagen haben. In der „Times“ las man vor einiger Zeit ein Inserat, das 700 Schilling für einen Floh versprach. Die BBC nämlich benötigte dringend einen solchen für eine Filmserie.

Ja, man muß schon die gern zitierten ältesten Leute fragen, wie so ein Flohzirkus funktioniert hat, wo winzige schwarze Punkte kleine Kanonen zogen, Wägelchen mit blitzenden Rädern in Fahrt setzten und den Beschauer ein leises, aber angenehmes Kribbeln befiel. Wobei er nicht ahnte, daß er Galeerensklaven vor sich hatte, denn die armen Viehlein wurden vor der Gefangennahme mit einer Kette versehen, die sie am Hüpfen hinderte. Wochenlang sollen sie es versucht haben, um dann gesenkten Hauptes zu resignieren. Nie mehr im Leben wurden sie ihre Fesseln los. Ihre höchst überraschende Körperkraft befähigte sie dabei, im Verhältnis zu ihrer Größe enorme Vehikel zu bewegen. Sie gibt ihnen ja auch eine unwahrscheinliche Sprungelastizität. Spränge ein Mensch so hoch, er käme, wenn man die entsprechenden Maße ins Kalkül zieht - ein Floh ist 2 bis 3 Millimeter lang —, auf einen Luftsprung fast von der Höhe des Stephansdoms.

In einer Hinsicht ähnelt bei solchen Kraftleistungen der Floh aber doch wieder dem Menschen. Wir kennen alle den Augenblick der weihevollen Konzentration, den ein Gewichtsstemmer vor seiner Kraftleistung einschaltet. Dasselbe macht der Floh, nur ist dieses winzige Wunder Natur mit einem eigenen Mechanismus versehen: Flöhe speichern vor dem Absprung jeweils Energie in einem Eiweißpolster und geben dann die geballte Ladung mit einem Ruck frei.

Man könnte von einem solchen Aufwand der Natur für ein so unscheinbares Wesen geradezu gläubig werden. Gott hat sich's niemals leicht gemacht. Kaum zu glauben, Gott hat den scheinbar so argen Mitessern sogar eine nützliche Aufgabe zugeteilt. Seit Jahren wird in Australien gegen die dort herrschende Kaninchenplage eine tapfere Schar von Flöhen eingesetzt, die als Träger der Kaninchenpest, der My-xomatose, eine verheerende Wirkung üben. Allerdings, und das ist wegen der krummen Zeilen, auf denen “der Allmächtige gerade Sätze schreibt, wieder interessant, konnte man die einschlägig tätigen Flöhe nur zur Fortpflanzung bringen, wenn sich die eierlegenden Flöhinnen vom Blut eines trächtigen Kaninchenweibchens ernährten!

Höchst wunderbar ist auch das Wirken der Natur bei der Menge des Giftstoffes, den ein Floh mit seinem Biß in die Wunde träufelt (das Wort paßt nicht): Man hat sie mit 0.0004 Kubikmillimeter berechnet. Wie man das gemacht hat, ist ein anderes Wunder. Jedenfalls würde ein einziger Tropfen des Giftes genügen, um einer Eineinhalbmillionenstadt jenen nicht eben sympathischen Juckreiz zu verschaffen, den die erwähnten alten Leute so wenig geliebt haben und den wir noch aus der alten Literatur kennen.

Deshalb haben unsere Vorväter, wenn sie ein Kribbeln auf der Haut verspürten, nach Möglichkeit schnell ihre Hemden ausgezogen und die Jagd nach dem Eindringling aufgenommen. Manche brachten es darin zur Meisterschaft. Wenn sie in ein flohverdächtiges Zimmer kamen, spazierten sie vor dem Schlafengehen im Nachthemd ein paarmal durch den Raum, was die anwesenden Kleinwesen veranlaßte, sich eilends ins Hemd zu stürzen, worauf sie wehrlos der Vernichtung ausgeliefert waren.

Der kluge Mensch hat sich endlich auch juristisch mit den Flöhen befaßt. Da hatte ein Zierfischhändler im Niedersächsischen Wasserflöhe aus einem Stadttümpel gefischt, was ihm eine Anzeige wegen Diebstahls einbrachte, weil die Stadtverwaltung mit Hilfe dieser eigens angeschafften Minifauna Schadstoffe im Wasser abbauen wollte. Der Mann wurde freigesprochen, da das Gericht entschied, daß Flöhe unstehlbar sind.

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