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Digital In Arbeit

Nichts zu verheimlichen

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Polens Oppositionelle diskutieren und organisieren, drucken Bücher und Zeitungen: heimlich-aber auch unter den A ugen der Geheimpolizei. Denn:,, Wir haben nichts zu verheimlichen… “

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Polens Oppositionelle diskutieren und organisieren, drucken Bücher und Zeitungen: heimlich-aber auch unter den A ugen der Geheimpolizei. Denn:,, Wir haben nichts zu verheimlichen… “

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Er sieht eher wie ein zu oft durchgefallener Schuljunge und nicht wie ein Verlagsdirektor aus - aber genau das ist er, wenn auch nicht im üblichen Sinn. Konrad Bielinsky, 32, ist der Mann, der der unabhängigen Gewerkschaft den Namen gegeben hat.

„Ich habe das Streikbulletin .Soli- darnose’ genannt, und plötzlich hat das Ganze so geheißen.“ Er zeigt mir ein Foto von seinem Büro in der Danziger Werft. „Da habe ich die ganze Zeit das NOWA-T-Shirt getragen.“

NOWA ist seit seiner Gründung 1977 - ein Jahr vorher ist KOR entstanden - der einzige große Untergrundverlag in Polen. Es fing damit an, daß die Dokumente und Erklärungen des KOR gedruckt werden mußten. Damals hielten es die meisten für undurchführbar, eine eigene Buchproduktion und den Vertrieb dafür zu schaffen. „Die Polizei wird euch liquidieren!" hieß es.

Erstaunt über West-Presse

Die Warnung galt vor allem Mirek Chojecki, Adam Michnik und Konrad Bielinsky, die dann später das sogenannte Direktorium bildeten. Und die Organisatoren von NOWA wurden tatsächlich zur meistverfolgten Gruppe innerhalb der Opposition. Alle die sich konkreter für NOWA interessierten, wurden bespitzelt.

Es folgten Hausdurchsuchungen, Verhöre, Polizeihaft. Alles, was nach Druck, Buch, Literatur aussah, wurde beschlagnahmt. Darunter insgesamt 120 Schreibmaschinen, die „verbrecherischen Zwecken“ gedient haben sollen.

Die von NOWA publizierten Autoren wie Kolakowski, Böll, Solschenizyn wurden von der offiziellen Propaganda als „Faschisten, Pornographen und Kriegshetzer“ bezeichnet.

Heute haben die konspirativen Druk- ker, die vor drei Jahren antraten, mit Auflagen von 2000 bis 3000 das Informations- und Kulturmonopol des Staates zu brechen, die technischen Möglichkeiten zum Druck von 30.000 Büchern im Monat. Durch die Gewerkschaft hat sich der Leserkreis enorm vergrößert.

„Seit August gab es eine einzige ernstere Hausdurchsuchung, bei der 400 Bücher beschlagnahmt wurden“, das wird mit Zufriedenheit konstatiert. So sitzen wir auch ungestört in Bielinskis Wohnung, in der er frühpr nur fallweise wohnen konnte: zu oft Wartete vor der Haustür die Geheimpolizei.

Angst vor dem Gefängnis? „Nein, NOWA war vom Anfang an so organisiert, daß jeder bekannte oder verdächtigte Mitarbeiter mit einem der Polizei sicher nicht Bekannten in Verbindung stand, damit in einem solchen Fall die Organisation nicht zusammenbricht. Aber heute würde es einen größeren Streik auslösen. wenn sie einen von uns einsperren würden.“

Auch wenn ein Unbekannter eingesperrt würde? - „Dann machen wir ihn eben bekannt! Die Mittel dafür haben wir. Wir gehen davon aus, daß es in Polen keine politischen Gefangenen geben darf!“

Gedruckt wird aber noch immer konspirativ auf kleinen transportablen Maschinen, die dauernd den Standort wechseln. Das Vertriebssystem erstreckt sich über viele polnische Städte. Das ganze System ist mit mathematischer Genauigkeit ausgeklügelt.

Bielinsky ist auch Mathematiker, aber seit anderthalb Jahren arbeitslos

und stellt sich selbst für ein Minimalgehalt an. „Unsere politische Situation ist so schwierig, daß ich meine Mathematik als Luxus betrachten müßte. Ich bin mehr ein Politiker.“

Dies, obwohl NOWA außer dem Kampf gegen die realsozialistische Zensur keine ausgeprägte politische Linie verfolgt: „Am ehesten könnte man unsere Richtung mit sozialdemokratisch umschreiben …“

Bielinsky weiter: „Was gedruckt wird, entscheidet jeder, der mitarbeitet.“ Geplant ist die Herausgabe einer Dokumentation über sowjetische Arbeitslager, eine größere Auflage von Archipel Gulag und eine Anthologie mit Texten ungarischer Oppositioneller. Denn: „An Kontakten und Zusammenarbeit mit ähnlich denkenden Gruppen in anderen Ländern des Blocks sind wir stark interessiert.“

Bis zur eigentlichen Invasion sei es noch weit, meinen die NOWA-Organi-

satoren. Vorher würden die Sowjets alle anderen Mittel erschöpfen, und dazu gehöre vor allem der psychologische Druck, der durch die ständige Anwesenheit der Truppen Moskaus an den Grenzen ausgeübt werde.

Es gebe auch keinen Dubček, der den Leuten befehlen könnte, in den Häusern zu bleiben und sich ruhig zu verhalten. Selbst wenn es Kania versuchen würde, würde nicht einmal die ganze Armee auf ihn hören, meinen die Oppositionellen.

In Polen jedenfalls wurden die westlichen Pressemeldungen, die eine Intervention für unausweichlich erklärten, nur mit Erstaunen aufgenommen.

„Was soll ich über euch schreiben?“ frage ich Jan Litynski. „Daß bei uns weder das Chaos noch die Anarchie ausgebrochen ist. Sonst, was dir Spaß macht.“ Litynski ist Mitglied des KOR, Mitherausgeber des „Robotnik“ (Arbeiter), einer der Initiatoren der Arbeiteruniversität und als Mathematiker arbeitslos.

„Wir haben nichts zu verheimlichen,“ fährt er fort. Und tatsächlich: Nur ganz selten wird ein Name nicht ausgesprochen oder eine Adresse nur aufgeschrieben. Außerdem kommt die Geheimpolizei ohnehin nicht nach. Es gibt mehr als 50.000 Aktivisten, die man kontrollieren müßte. Und die leben und arbeiten sehr intensiv.

Wohl sind sich alle oppositionellen Gruppen in Polen in ihrem Kampf gegen die Allmacht von Staat und Partei einig, Unabhängigkeit ist den einzelnen Organisationen aber genauso wichtig: „KOR ist von .Solidarnosc’ unabhängig, NOWA von beiden und vom .Robotnik’“, erklärt Litynski. „Die neue Gewerkschaftszeitung .Niezaleznosc’ heißt ohnehin Unabhängigkeit - und alle zusammen sind natürlich unabhängig von Staat und Kirche“.

In der Redaktion des „Niezaleznosc“ haben die Frauen mit neun zu vier die Mehrheit. Geplant ist eine wöchentliche Auflage von 50.000.

Gedruckt wird nicht konspirativ, sondern im Gewerkschaftsbüro in der Spitalna 5 - im Haus gegenüber hat sich längst die Geheimpolizei mit Fernrohren und Fotoapparaten einquartiert. Doch darüber wird, ebenso wie über abgehörte Telefone, nur gelacht. ..

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