6934540-1983_04_16.jpg
Digital In Arbeit

Noble B eziehungen

Werbung
Werbung
Werbung

Die Zeiten wären schlecht, hatte Ida gemeint und mit Nachdruck hinzugefügt, daß sie wohl auch nicht besser würden. In nächster Zeit jedenfalls nicht. Und in so schlechten Zeiten wären Beziehungen wichtig wie nie zuvor. Wo aber könnte man solche schneller und unverdächtiger schließen als in Vereinen, Clubs oder was es immer an Zusammenschlüssen mit Statuten gäbe?

Wer wollte solcher Logik widersprechen? Also machte ich mich auf die Suche nach einem geeigne-

ten Verein, wo ich all die zukunftssichernden Kontakte

schließen könnte. Parteien stellten mich vor unlösbare Auswahlprobleme, einer Religionsgemeinschaft gehörte ich bereits seit meiner frühesten Kindheit an, in den diversen Freizeitgruppen vermutete ich kein sonderlich verwertbares Kontaktpotential. Solchermaßen geriet ich an die Sportvereine. >

Das war auch Ida ganz recht, denn ihre besten Freundinnen waren samt Ehegatten und Kindern in Sportvereinen — äußerst exklusiven freilich —, und, was noch schwerer wog, alle von ihr enttarnten Todfeindinnen! Die Entscheidung für einen Club war ein Kinderspiel, verglichen mit der Prozedur, die zur Aufnahme führen sollte.

Begleitet von zwei honorigen Bürgern fuhr ich zum Vorstellungsgespräch mit der Geschäftsführung des Clubs. Die Geschäfts- führeraugen, ergänzt um zwei Paar attraktiver Assistentinnen, hatten schon Anfahrt und Anmarsch zum Jugendstilclubhaus auf dem Terrain im gepflegten Wohnbezirk dezent, aber merkbar kontrolliert.

Ich hatte mir vorsichtshalber einen Wagen geliehen, inländisches Fabrikat und ohne die Spuren meiner Vernachlässigung und von Idas Parkkünsten. Wie geschickt es war, keinen kommerziellen Leihwagen zu wählen, merkte ich erst, als ich sah, wie Assistentinnenaugen das Kennzeichen des Wagens anhand einer Liste überprüften. Wie die erste Kontrolle, verliefen auch die folgenden Tests: dezent, aber genau, zurückhaltend, aber unnachsichtig.

Aber alles lief gut: Mein Blazer hatte einen ausreichend hohen Anteil an Schurwolle und — Ida hatte es in letzter Minute abgetrennt — kein Klubemblem an der Brusttasche. Die — als Test! — angebotene Zigarette lehnte ich mit dem passenden Hinweis auf meine sportlichen Neigungen ab. Kaffee und Cognac wurden standhaft verweigert., Alles schien nach Idas Vorstellungen zu laufen.

Doch dann nahte das Verhängnis doch. Der Geschäftsführer sprach von einer letzten notwendigen Formalität. Er überreichte mir eine fingerdicke Broschüre und beruhigte mich: Ich solle den kleinen Fragenbogen in Ruhe zu Hause ausfüllen und an den Club senden. Dann käme — er wäre fast sicher — die Aufnahmebestätigung postwendend.

Zu Hause verbarrikadierte ich mich in meinem Arbeitszimmer und begann das Studium der Erläuterungen und Eintragungsvorschriften, der Linien und Kästchen, Ziffern und Buchstaben. Und dann kam in mir die jahrzehntelang gewachsene Wut gegen Fragebogen — welch nützlichen Zwecken sie auch immer dienen mögen — hoch, und der Fragebogenteufel ritt mich in höllischem Galopp.

Alles, was ich in den Formularen der Meldeämter und des Finanzamtes, der Hochschulverwaltung und der Berufsgenossen

schaft nie zu tun gewagt hatte, das tat ich jetzt: Auf die Frage nach dem Geburtstag antwortete ich mit einem nonchalanten „Ja“; mein Geschlecht meldete ich keck als „vorhanden“; meinen Familienstand bewertete ich als „standfest“; die Kinderanzahl stufte ich selbst als „schwer feststellbar“ ein.

Meine Schullaufbahn führte mich über alpine „Baumschulen“ und maritime „Klippschulen“ direkt in die „verkehrswissenschaftliche Fakultät“ der „Gehhochschule“:

Im Fragebogenrausch gingen mir allmählich die Ideen, nicht aber die Luft aus: Ich log und fälschte, trug bestenfalls nichts, meistens aber Schwachsinn ein. Dann unterschrieb ich — akademisch — mit vier patzigen Kreuzen, steckte das Werk in einen meiner Geschäftsumschläge, eilte zum nächsten Briefkasten und stieß ihn mit tückischem Augen- flimmern in den Schlitz. Den Verein, den noblen, den hatte ich los.

Meinte ich. Drei Tage später kam die freundliche Bestätigung meiner’Mitgliedschaft mit herzlichem Dank für die großzügige Spende. Ich hatte in meiner Verzückung natürlich auch bei meinen Einkommensverhältnissen gemogelt und einen selbstmörderischen Betrag in die Rubrik „Freiwillige Spenden beim Eintritt“ eingetragen. Ich war mir meiner fortwährenden Nichtmitgliedschaft ja sicher gewesen. Der tollkühne Sprint zur Sparkasse reichte nicht. Der Clubkassierer hatte schon abbuchen lassen. Die Einzugsermächtigung hatte ich ja unterschrieben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung