6810593-1972_31_14.jpg
Digital In Arbeit

Nur für Leser

Werbung
Werbung
Werbung

William Somerset Maugham (1874 bis 1965) galt als der erfolgreichste Schriftsteller seiner Zeit. Er hat ungefähr 25 vielgespielte Theaterstücke, 30 Romane und 200 Erzählungen geschrieben, alles zusammen schon zu seinen Lebzeiten in mehr als 25 Millionen Exemplaren in aller Kulturwelt verbreitet. Als Sohn wohlhabender Eltern kam er in Paris zur Welt und erst mit zehn Jahren, nach dem Tod beider Elternteile, nach England, wo er später,, ohne die geringste Absicht Arzt zu werden, Medizin studierte: nur um den „Menschen ohne Maske“ anatomisch wie psychologisch genau kennenzulernen; denn von Jugend an war er entschlossen „Berufs-Schriftsteller“ zu werden. Das brachte ihm dann ein Vermögen von vielen Millionen und „eines der angenehmsten Leben ein, die in unserem Jahrhundert geführt wurden“, wie er selbst feststellte. Ironische Skepsis war ein Grundelement seiner Denk- und Schreibweise. Damit erinnert er stark an Oscar Wilde und Aldous Huxley. Doch seine ständige Gesellschaftskritik wurde niemals revolutionär, dazu war er viel zu pessimistisch. Er registrierte die Fehler, die ihm auffielen, und mokierte sich dabei ohne ausdrücklich erzieherische Absichten. Er machte sich lustig über die Fehlerquellen des Alltags und versuchte seinerseits, ihn möglichst fehlerfrei zu beherrschen. In seinen Stücken und Geschichten bevorzugte er den tragischen Ausgang, und zwar einfach wegen der eindrucksvollen literarischen Pointe, die er hergibt.

Auch das geschah durchaus bewußt. Im „Vorwort“ (er war ein berühmter Vorwort-Verfasser) zum vierten Band seiner von ihm selbst in bestimmter Weise eingeteilten „Gesammelten Erzählungen“ bekennt er ungerührt: „Die meisten von diesen Geschichten haben etwas Tragisches. Aber der Leser soll nicht denken, daß die geschilderten Fälle an der Tagesordnung waren. Die überwiegende Mehrzahl dieser Menschen ... waren gewöhnliche Leute, die mit ihrer Stellung im Leben gewöhnlich ganz zufrieden waren ... Ich achte solche Leute und bewundere sie sogar, aber sie gehören nicht zu der Sorte Menschen, über die ich Geschichten schreiben kann.“ Ja, selbst Höflichkeit und Jovialität gewinnen bei ihm einen zynischen Zug. Er wußte nur zu gut, daß derart zufriedene „Beamte, Pflanzer und Kaufleute, die ihr arbeitsames Leben in Malaga oder anderswo verbringen, einen geheimen Drang zum Tragischen haben, der in ihnen schlummert und gerne einmal über der Erzählung einer furchtbar endenden Begebenheit vorübergehend erwacht. Maugham war ein perfid kluger Erzähler spannender Geschichten. Seine intelligent treffenden Zwischenbemerkungen ließen beim Leser nie den unangenehmen Nachgeschmack aufkommen, daß er sich an einem Reißer delektiert habe.

Auch der Band 3 der vierbändigen Ausgabe „Gesammelte Erzählungen“, der „Ashendens Abenteuer“ enthält, Agentenstories aus der Zeit des ersten Weltkrieges, zeigt Leben und Tod, patriotisches Engagement da wie dort, Spannung und Kommentar mit Humor verbunden. Somerset Maugham war damals selbst im englischen Nachrichtendienst tätig. Im Vorwort sagt er zu den nachfolgenden Geschichten: „Sie basieren auf meinen eigenen Erlebnissen während jenes Krieges. Aber ich möchte dem Leser ausdrücklich sagen“, daß sie „Werke der Fiktion“ sind. Denn: „Die Wirklichkeit ist ein schlechter Geschichtenerzähler.. Die Arbeit eines Agenten im Nachrichtendienst ist im großen und ganzen eintönig.“ Und „etwas Dramatisches und Glaubwürdiges daraus zu machen, ist Aufgabe des Autors“. Und im Vorwort zum Band 2 sagt er zu den dortigen Geschichten, „daß viele in der ersten Person Einzahl geschrieben sind. Diese Art des Erzählens ist so alt wie die Welt“. Und ganz einfach: „Die Absicht dabei ist, glaubwürdig zu wirken ...“ Kurzum: W. Somerset Maugham will nur auf die Dauer der Lektüre betören und warnt darum schon im vorhinein: Seien Sie nicht so töricht, alles wörtlich zu nehmen; es ist ja viel zu gut erzählt, um wahr zu sein. Er gewährt dem Leser Vergnügen, glänzende Illusionen, gibt jedoch gleichzeitig den Rat, sich daraus keine Illusionen zu machen. Maugham bietet also zwar Unterhaltung, gebietet aber stets, trotzdem Haltung zu bewahren. Arbeitswelt, Liebeswelt und politische Welt sind eines, die Romanwelt, wiewohl in Elementen aus jenen bezogen, wird immer etwas ganz anderes. Maugham schrieb demnach nur für Leser: nicht für Politologen und auch nicht für Interessenten an literarischen Experimenten. Sein Dauerexperiment bestand nur darin, im Leben dilettantisch bestandene Anfechtungen meisterhaft zu gestalten, das bloß Fatale zum Schicksal, das schrecklich Mißliche zum Tragischen zu runden. Und er hat dabei ungezählte Millionen Leser (und Theaterbesucher) auf seiner Seite, auch heute noch.

GESAMMELTE ERZÄHLUNGEN I bis IV. Von W. Somerset Maugham. Diogenes-Verlag, Zürich 1972. 1967 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung