Heinz Nußbaumer - © Foto: Stephan Boroviczény

FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer: Auch im Abschied bleibt die Nähe

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Seit 2003 ist Heinz Nußbaumer (Mit-)Herausgeber, seit 2008 regelmäßiger Kolumnist der FURCHE. Nun zieht er sich aus diesen Funktionen zurück.

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Seit 2003 ist Heinz Nußbaumer (Mit-)Herausgeber, seit 2008 regelmäßiger Kolumnist der FURCHE. Nun zieht er sich aus diesen Funktionen zurück.

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Es war keine einfache Entscheidung, aber sie musste sein. Nach 20 Jahren als FURCHE-Herausgeber (gemeinsam mit meinem lebensklugen Kollegen Wilfried Stadler) und nach 15 Jahren als Kolumnenschreiber ist es Zeit, Abschied zu nehmen. „Unser Leben währt 70 Jahre – und wenn’s hoch kommt, sind es 80 …“: So steht es in den Psalmen, verfasst in einer Zeit, in der die menschliche Lebensspanne weit geringer war als heute. Allein das Wissen um so viel geschenkte Lebenszeit lässt mich dem kommenden 80er in großer Dankbarkeit entgegenblicken. Sechs Jahrzehnte davon waren vom Journalismus geprägt – und vom Ausnahme-Glück, immer wieder dabei sein zu dürfen, wenn irgendwo der erste Rohentwurf der Zeitgeschichte geschrieben wurde, in Österreich, Europa und der Welt.

„Weißt Du eigentlich, dass wir den schönsten Beruf auf Erden haben?“, hat mir einmal ein Kollege gesagt. Dieser Satz hat mich lange begleitet, als Frage und als Gewissheit. Geblieben ist die Gewissheit. In die letzten Weltkriegsjahre hineingeboren, waren die nachfolgenden Jahrzehnte von der festen Überzeugung getragen, wir würden unser Miteinander – allen Schwächen und Mängeln zum Trotz – künftig immer gerechter und friedlicher gestalten. An Vorbildern dafür war kein Mangel.

Inzwischen aber weiß ich: Mein eigenes Altern fällt auch in eine Zeit ungewohnter Fremdheit. Unsere Welt erfindet sich eben auf bedrängende Weise neu – politisch und weit darüber hinaus. Kriege, Krisen, Katastrophen lassen uns daran zweifeln, dass es letztlich zum Guten hingeht. Gerade Journalisten meiner Generation müssen sich heute fragen, wie viele ihrer Erfahrungen und Begegnungen aus vergangenen Jahrzehnten sich noch als Haltegriffe bewähren, um das Kommende mit einem Grundanspruch von Kompetenz deuten zu dürfen.

Im Sturmwind des Zeitenwechsels

Denn die Erde unter unseren Füßen bebt gewaltig – selbst in den großen Vorzeigedemokratien. Immer wieder denke ich: Wie oft haben wir uns – schreibend und redend – am Feuer gemeinsamer Zukunftsträume gewärmt, hoffend auf ein Mehr an gemeinsamer Sicherheit, an belastbaren Konfliktlösungskonzepten und ökumenischer, ja interreligiöser Geschwisterlichkeit. Was davon ist geblieben? Leben wir heute nicht im Zeichen so vieler Feindbilder – und doch ahnend, dass Kriege im Atomzeit­alter „letztlich einem globalen Todeswunsch nahekommen“ (J. F. Kennedy).

Und sicher ist zudem: Auch die Welt der Medien, meine „zweite Heimat“, ist vom Sturmwind eines riskanten Zeitenwechsels erfasst. Vieles am Journalismus wird nicht so bleiben, wie es bisher war. Der klassische Auftrag, „zu schreiben, was ist“, steht heute vor mächtigen Herausforderungen. Da ist die unkontrollierbar gewordene Datenflut. Da sind die Manipulationswerkzeuge des Populismus. Da sind die riesigen kommerziellen Digital­platt­formen und all die bisher nicht gekannten technischen Innovationen – bis hin zum Einzug „künstlicher Intelligenz“ in die Redaktionen. Und als Folge dessen der dramatische Vertrauensschwund in die klassischen Medien, der zunehmende Verlust einer „gemeinsamen Öffentlichkeit“ und all die bekannten Abgründe von Fake News, Hate Speech und konspirativen Verschwörungsmythen bis in die Mitte der Gesellschaft.

Orientierung an Wert und Würde des menschlichen Lebens: Das ist es, was DIE FURCHE so enorm wichtig macht – und das ist es, warum ich sie auch künftig lieben werde, ganz unabhängig von meinem Abschied.

Wohin uns das führen wird? Zu mehr öffentlicher Sehnsucht nach glaubwürdiger Orientierung und Tiefgang? Oder doch zu einem unaufhaltsamen Verlust an Neugier und Weltwissen – zu einer Informationsmüdigkeit, die der journalistischen Qualität, der Mitgestaltung am öffentlichen Leben und damit der demokratischen Belastbarkeit den Boden entzieht? Medien sind immer Produkt und Spiegel der Gesellschaft – bis dorthin, wo es um Wert und Würde des menschlichen Lebens geht. Das ist es, was die Zeitung, die Sie eben in Händen halten, so enorm wichtig macht – schon seit bald 80 Jahren. Und hoffentlich noch lange! Und warum ich DIE FURCHE auch künftig lieben werde, ganz unabhängig von meinem Abschied.

„Wo sonst kann ich mich mit so viel Kompetenz und Anstand über Zukunftsfragen informieren“, hat mir kürzlich eine Leserin geschrieben – „auch gegen den Wind des Zeitgeistes. Wir er­sticken doch in Banalitäten!“

Gerd Bucerius, jahrzehntelang Verleger unserer großen deutschen Schwester Die Zeit, hat einmal geschrieben: „Ein Blatt wie unseres ist immer gefährdet – so etwas Schönes muss es ja nicht ewig geben.“ Dasselbe gilt für DIE FURCHE: Seit 1945 ist sie ihrem Auftrag treu geblieben, das Bleibende und Versöhnende, das Solidarische und Existenzielle atmen zu lassen – und hat Samenkörner des Anstands, der Weltoffenheit und Empathie in die Furchen unserer Republik gelegt. Daraus ist bei unseren Lesern eine große Treue und für diese Zeitung Zukunftssicherheit gewachsen – und das Glück der richtigen Eigentümer: „Wir halten einen Schatz in unseren Händen“, hat es Styria-Vorstandsvorsitzender Markus Mair formuliert.

So verbinde ich meinen Abschiedsgruß an Sie mit einer Bitte: Schenken Sie der journalistischen Tiefe der FURCHE so viel Breite an ­Leserschaft wie nur möglich. Danke!

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