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Oberflächliche Reformidee, die nichts bringt

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Mit der Reformdiskussion rund um das heimische Krankenversicherungswesen beschäftigt sich die jüngste „Kurzstudie” der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft (SWA). Die sehr ins Grundsätzliche gehende Studie lehnt die Abschaffung der herkömmlichen Krankenscheine als Allheilmittel für die Kassensanierung ab, warnt vor drohenden Tendenzen eines „allumfassenden Gesundheitsdienstes” und regt schließlich eine noch liberalere Handhabung der freien Arztwahl sowie insbesondere die Einführung eines Selbstbe- halts an.

„Die Abschaffüng des Krankenscheines ist keineswegs der einzige, sicher jedoch der am wenigsten zielführende Weg zur Sanierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Anstatt Ärzte wie Patienten neuersonnenen administrativen Zwängen zu unterwerfen, sollte an eine bedarfs- und leistungsgerechte Reform dieses Zweiges der Sozialversicherung gedacht werden.” Mit der oberflächlichen Reformidee, die Krankenscheine einfach abzuschaffen, ist nach der in der SWA-Studie dargelegten Meinung nichts zu gewinnen, hingegen viel - „immerhin die erwarteten Mehreinnahmen” - zu verlieren.

Die Bedenken der SWA-Mitarbeiter gegen eine Abschaffung der Krankenscheine: Der als Alternative zum Krankenscheinsystem vorgeschlagene „Registrierungszwang”, wonach sich jeder Versicherte bei einem „zuständigen” Arzt „einschreiben” lassen muß, würde die Ärzte in eine wenig attraktive Bürohelferrolle drängen. Der ärztliche Praktiker müßte eine sachfremde Verwaltungsaufgabe übernehmen, außerdem wäre es für den Arzt viel schwieriger, Angaben der Versicherten (etwa über Anspruchsvoraussetzungen) zu überprüfen. Der zur Zeit für die Ausgabe von Krankenscheinen zuständige Dienstgeber hingegen verfügt auf Grund der Lohn- und Gehaltsverrechnungsunterlagen schon über notwendige Informationen. Schließlich würde das Registrierungssystem auch die freie Arztwahl beschränken, heißt es in der SWA-Studie.

Ehrlicherweise gesteht die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft ein, daß auch das derzeitige Krankenscheinsystem nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann: Der für den Patienten spürbarste Mangel bestehe darin, daß ihm pro Quartal grundsätzlich nur ein Schein ausgestellt werde, wodurch er bei der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen für die Dauer von drei Monaten an einen Behandler gebunden sei. Das pauschalierte Honorierungssystem sei außerdem wenig leistungsgerecht und „führt zu dem als Scheinesammeln bekannten Phänomen, das die Krankenkassen teuer zu stehen kommt”. Als Ausweg hält die SWA-Studie schließlich folgende Möglichkeiten parat:

• Die „unverständliche Rationierung” der Krankenscheine sollte aufgegeben werden. Gleichzeitig sollte von den Kassen von der Pauschalvergütung zur Einzelhonorierung ärztlicher Leistungen übergegangen werden. Diese Regelung ließe zwar einen erhöhten Anfall von Krankenscheinen, jedoch eine geringere Honorarsumme je Behandlungsfall erwarten. Durch eine effizientere Nutzung der vorhandenen Datenverarbeitungs- Einrichtungen könnten die Kassen einem durch verstärkten Papierkrieg drohenden Ansteigen der Verwaltungskosten begegnen.

• Die Kostenbeteiligung des Versicherten soll eingeführt werden. Neben dem von den Kassen dringend benötigten wirtschaftlichen Effekt brächte die Kostenbeteiligung (Selbstbehalt) auch die Möglichkeit, die Honoraransprüche der Ärzte gegenüber den Kassen auf eine simple Art zu kontrollieren.

Argumente für ihre Vorschläge schöpft die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft aus der Versicherungspraxis der „Sonderkrankenversicherungen”. Hier würde etwa die generelle 20prozentige Beteiligung an den Arztkosten wegen des qualitativ besseren Versicherungssystems von den Versicherten widerspruchslos akzeptiert. Die SWA-Studie meint, der Versuch der Kostenbeteiligung sollte die Verantwortlichen veranlassen, „allen an der sozialen Krankenversicherung Beteiligten Besseres zu bieten”. Etwa eine wirklich freie Arztwahl oder bessere Leistungen bei Inanspruchnahme einer gehobenen Gebührenklasse im SpitaL

Sehr aufschlußreich und erfolgversprechend sind die in der SWA-Studie angestellten finanziellen Analysen. Ihnen ist zu entnehmen, daß das System der Gebietskrankenkassen das eindeutig teuerste ist. Sonderkrankenversicherungen bringen durchwegs geringere Verwaltungskosten zustande: So verzeichnete die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter pro Versicherten und Jahr einen Verwaltungsaufwand von 256 Schilling, während einzelne Gebietskrankenkassen Quoten aufwiesen, die um 20 Prozent über dieser Marke lagen.

Abschließend heißt es, es wäre sinnvoll, eine Diskussion über die beiden Systeme ASVG und Sonderkrankenversicherungsträger zu eröffnen: „Es kann angenommen werden, daß die Versicherten für eine Verbesserung der sozialen Krankenversicherung auch vertretbare finanzielle Konsequenzen akzeptieren.” Solange schließlich keine Lösung der Spitalsfinanzierung, dem eigentlichen Kernproblem, gefunden sei, müßte die Abschaffung der Krankenscheine als unzulänglicher Versuch beurteilt werden, die Gebarung zu sanieren.

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