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Oberst Redl und ich

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Warschau ist eine schöne Stadt.

Der wichtigste Bahnhof ist der Zentralbahnhof. Er hat eine große Wartehalle und einen noch größeren Fehler: Fernsehapparate in dieser Wartehalle. Den ersten großen Fehler, den ich an diesen Apparaten diagnostizierte, darf ich gerechterweise nicht dem polnischen Rundfunk anlasten. Naturgemäß minderten meine mangelhaften Kenntnisse der polnischen Sprache den Femsehgenuß in der Wartehalle des Warschauer Zentralbahn-

hofes erheblich; ich hatte allerdings gar nicht vor, hier lange Zeit zuzubringen. Nur eine Liegewagenkarte von Warschau nach Ostberlin für den nächsten Tag war mein Begehr.

Frohgemut reihe ich mich also in die sich üppig schlängelnde Wartereihe vor dem Schalter ein. Zufällig fällt mein Blick auf einen der Monitoren in der Wartehalle. Eben geht das antike Monumentalepos “Quo vadis?“ des polnischen Nationaldichters Sienkiewicz nach gewaltigen Blutverlusten aller Beteiligten dem ergreifenden Ende zu.

Fünf Minuten später oder einen halben Meter in der Schlange riskiere ich wieder einen Blick, da flimmert ein wohlvertrautes, katzenähnliches Antlitz über den Bildschirm. Kein Zweifel, er ist es: Klaus Maria Brandauer in der dekorativen k. u. k. Uniform als Redl, vorerst am Anfang einer großen Karriere.

Die dem Burgmimen über die Lippen sprudelnden Worte lassen meine heimatlichen Reminiszenzen rasch einfrieren: Er spricht ungarisch, und meine diesbezüglichen Kenntnisse sind noch etwas schlechter als jene der polnischen Sprache (sofern das überhaupt möglich ist). Die freundlich unter dem Filmstreifen vorüberziehenden Untertitel sind ebenso polnisch wie (mir) unverständlich.

Nach einigen Brandauerminuten, die nur pantomimischen Wert für mich haben, konzentriere ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die träge Warteschlange, die irgendein- mal auch zum Ziel führt. Am Schalter sitzt eine freundliche Dame, die sogar über rudimentäre englische und deutsche Sprachkenntnisse verfügt. Meine aufkeimende Zuneigung zerfällt in nichts, als sie mich darauf hinweist, daß hier nur Liegewagenkarten für das Inland verkauft werden, für das sozialistische Ausland stehe der nächste Schalter zur Verfügung.

Redl wird von ekelhaften Aus- bildnem in der Armee schikaniert. Mein Bedauern gilt zur Zeit aber vor allem mir selbst - besonders angesichts der Warteschlange vor meinem Schalten Warum können die Polen nicht unter Tag reisen?

Daß ich nicht polnisch kann, ist natürlich nicht die Schuld der Schalterbeamtin. Aber man könnte auch pantomimisch freundlich sein! Ihre wenig wirsche Auskunft läßt mein Stimmungsbarometer auf Tiefdruck fallen: Für den Erwerb einer internationalen Schlafwagenkarte ist eine Wechselbestätigung (Dollar gegen Zloty) in der entsprechenden Höhe erforderlich. Erhältlich im HotelForum in unmittelbarer Nähe.

Redl ist noch etwa 1500 Filmmeter vom Oberstrang entfernt und beschäftigt sich aufreizend intensiv mit einer schönen Frau (das ist doch historisch unrichtig? Aber eigentlich habe ich jetzt andere Sorgen). . Meine - nicht minder, aber anders erregende - Tätigkeit besteht darin, die angrenzende Baustelle zu überqueren, um das besagte Hotel aufzusuchen. Nein, ich lasse mir die Laime nicht verderben, weder von der polnischenBahnbürokratie noch von Redl!

Ich wechsle mir im Hotel sogar noch einige Zloty mehr, um mir anschließend den Abend mit einem Krimsekt zu versüßen. Von dieser Aussicht auf den Beinen gehalten, treffe ich wieder in der Halle des Bahnhofes ein, die Wechselbestätigung in den Händen und nur ein leicht nervöses Flackern in den Augen. Ein rascher Blick zeigt mir, daß es Redl in meiner Abwesenheit bereits zum Oberstleutnant gebracht hat (meine Gratulation!), die k. und k. Armee ist nach wie vor eine Ansammlung von Unsympathlem.

Und auch mir scheint Erfolg be- schieden: Niemand vor meinem Schalter. Ich stürze hin, lege die Bestätigung der Schalterdame vor, folgender gestis eher Dialog entspinnt sich.

Sie (Zeichensprache): Nix richtig!

Ich (zornige Pantomime): Wieso?

Sie (belehrender Zeigefinger): Falsche Formular.

Ich (mit den Fäusten protestierend): Ich habe sogar mehr gewechselt.

Sie (polnisch pantomimisch): Ohne richtige Formular nix Karten.

Ich (schlage verzweifelt mit der flachen Hand gegen meine Stirn):—

Und ewig grinst dazu der Brandauer, noch vervielfacht durch die sechs TV-Geräte in der Halle; er ist nun Oberst, ich am Ende. In schüchterner Zeichensprache frage ich an: Was jetzt? Sie (mit kategorischer Handbewegung deutend): Nochmals wechseln!

Rückblickend betrachtet bin ich froh über meine Unkenntnis der polnischen Sprache. Das Repertoire an polnischen Schimpfwörtern und Flüchen ist besonders groß und verkehrt proportional dazu meine Selbstbeherrschung in Situationen wie diesen. Damals freilich wäre mir leichter gewesen.

Also wieder ins Hotel Forum! Ein Blick zurück im Zorn zeigt mir, daß es auch Redl dreckig geht - wenigstens ein kleiner Trost. Der Selbstmord wird ihm dringendst nahegelegt, der Endkampf nimmt seinen Anfang.

Zurückgekehrt mit der Bahn- wechselbestätigung, rascher Seitenblick auf die Fernsehapparate: Endkampf fast zu Ende, Brandauer tobt zwar noch über die Mattscheibe, aber nur mehr in den letzten Zuckungen. Bebend überreiche ich der unwirschen Dame meine Bestätigung, und als der erlösende Schuß dem Oberst die Hirnschale zerschmettert, halte ich - zu erschöpft, um glücklich zu sein - meine Liegewagenkarte in Händen.

Warschau ist eine schöne Stadt Aber den Redl-Film kann ich seither nicht mehr sehen.

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