6809596-1972_26_10.jpg
Digital In Arbeit

„Oedipus Rex“ nach 45 Jahren

19451960198020002020

Eines der bedeutendsten Werke Strawinskys, die Oratorienoper „Oedipus Rex“, zum 20jährigen Bühnenjubiläum Diaghi-lews geschrieben, zunächst konzertant im „Theätre Sarah Bernhardt“ am 30. Mai 1927 uraufgeführt und im Jahr darauf zum erstenmal unter der Leitung von Otto Klemperer an der Berliner Krolloper szenisch realisiert, wird in Wien so selten gespielt, daß man es „vorstellen“ muß.

19451960198020002020

Eines der bedeutendsten Werke Strawinskys, die Oratorienoper „Oedipus Rex“, zum 20jährigen Bühnenjubiläum Diaghi-lews geschrieben, zunächst konzertant im „Theätre Sarah Bernhardt“ am 30. Mai 1927 uraufgeführt und im Jahr darauf zum erstenmal unter der Leitung von Otto Klemperer an der Berliner Krolloper szenisch realisiert, wird in Wien so selten gespielt, daß man es „vorstellen“ muß.

Werbung
Werbung
Werbung

Seit 1925 suchte Strawinsky nach einem Opernstoff, und schon lange vorher erwog er die Zusammenarbeit mit Jean Cocteau. — „König Oedipus“ von Sophokles brachte die beiden Künstler zusammen. Als Strawinsky das Libretto erhielt, schrieb er: „Kein anderer Text hätte meinem Wunsch besser entsprechen können.“ Danach ließ man von Pere Jean Danielou das Stück in mittelalterliches Latein übertragen. Der Sprecher soll das Geschehen in der jeweiligen Landessprache erläutern.

Warum gerade ins Lateinische? Es ist keine tote, sondern nur eine versteinerte Sprache, die durch ihre Monumentalität über alles Vulgäre erhaben ist. Es wirkt fast rituell, man ist nicht an Redewendungen gebunden, die strenge Sprachform hat Ausdruckswert, der Text, die einzelnen Silben, können als „phonetisches Material“ gebraucht werden.

Genau das wollte Strawinsky. Lange hat er über die „Haltung“ des zu schaffenden Werkes nachgedacht. Immer schon war in ihm das Verlangen nach Ordnung mächtig, ohne die nichts entsteht und alles zerfällt, wenn sie aufgegeben wird. Sie hindert die Freiheit nicht, sondern begünstigt sie. Eine ganze Kunst- und Lebensphilosophie ließe sich auf diesen Prämissen aufbauen...

Auch in der Musik benützt er „die stillen, anonymen Formeln einer entlegenen Zeit“: Elemente der orthodoxen Kirchenmusik, die Responsorien der katholischen Liturgie, Russisches, wie es etwa im „Boris Godunow“ vorgeformt war, die klassische Opernarie in der Art Verdis und anderes mehr.

Wichtig ist auch die klare Gliederung, die durch Chorsätze erfolgt. .Sie leiten die beiden Teile ein und beenden sie, so entstehen zwei sich zusammenschließende Halbkreise.

Ein 'Dreiertakt mit langsam pulsierenden Bässen ist charakteristisch. Es gibt nur ein einziges Duett, dagegen mehrere dramatische Antiphone.

Mit diesem Werk war das erste Exempel des „epischen Musiktheaters“ geschaffen, für die einen ein Greuel, für andere etwas Neues, Interessantes, das sich von der dumm-naiven Durchschnittsoper des 19. Jahrhunderts wohltuend abhob. Bald schieden sich die Geister. „Das Ganze ist eine unkurzweilige Verbindung von Belesenheit, Können und Barbarentum“, schrieb 1930 ein Münchener Kritiker. Aber andere Leute waren und sind anderer Meinung.

45 Jahre — das ist eine schöne Zeit für ein Werk, das bei seiner Uraufführung sehr ä la mode war („Französischer Neoklassizismus“). Bei der konzertanten Aufführung im Großen Musikvereinssaal durch das ORF-Symphonieorehester, den ORF-Män-nerchor und den Singverein unter der Leitung von Hans Swarowsky hat Strawinskys „Oedipus Rex“ seine Lebensfähigkeit glänzend erwiesen. Der farbige Tenor Georpe Shirley in der Titelpartie, Manfred

Schenk als König Kreon und Bote, Jaroslaw Stajnc als Tiresias und Heinz Zednik als Hirte — das war eine Besetzung, wie sie jedem großen Opernabend zu besonderem Glanz verhelfen könnte. Nur die in Peru geborene Juanita Porras entsprach der wichtigen Partie der Jokaste in keiner Weise. — Untheatralisch und intelligent sprach Alexander Trojan den etwas vereinfachten Text Jean Cocteaus in deutscher Sprache. Unter Hans Swarow-skys Leitung konnten sich alle Ausführenden absolut sicher fühlen. — Er war es auch, der das selten gespielte „Budaväri Tedeum“, das Zolirin Kodäly 1936 komponiert hat, mit Feuer und Pathos interpretierte. Zu den männlichen Solisten des vorhergegangenen Werkes traten hier noch Glade Peterson und Edda Moser, die der Aufführung tenorale beziehungsweise Sopranglanzlichter aufsetzten. Die Hauptarbeit lag bei Gottfried Preinfalk und Helmuth Froschauer, die die beiden großen Chöre mit Akribie auf diese gelungene und eindrucksvolle Aufführung vorbereitet hatten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung