6970238-1985_27_06.jpg
Digital In Arbeit

Österreich — ohne Wenn und Aber ...

19451960198020002020

Seine Erinnerungen legt der österreichische Karrierediplomat Hans J. Thalberg nun in Buchform vor. Dabei hält er mit seiner persönlichen Meinung auch zu heiklen Themen keineswegs hinter dem Berg.

19451960198020002020

Seine Erinnerungen legt der österreichische Karrierediplomat Hans J. Thalberg nun in Buchform vor. Dabei hält er mit seiner persönlichen Meinung auch zu heiklen Themen keineswegs hinter dem Berg.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Ubergang über den Col de Balme, der das französische Hochsavoyen mit der Schweiz verbindet, ist für einen jungen Mann unter normalen Umständen keineswegs eine aufregende Gebirgswanderung.

Im Jahre 1942 herrschten in Europa jedoch alles andere als normale Verhältnisse, und für den 24 Jahre alten Hans Thalberg war der Versuch, aus dem Frankreich Marschall Petains, über das die deutsche Gestapo ein immer dichteres Netz gezogen hatte, in die Schweiz zu gelangen, ein mehr als waghalsiges Unternehmen, ja eine Verzweiflungstat. War es doch selbst beim Gelingen dieses illegalen Grenzübertritts mehr als fraglich, ob jenseits der Schweizer Grenze Rettung war, oder ob nicht Auslieferung und damit der sichere Untergang auf den Flüchtling warteten.

Unser Flüchtling hatte jedoch Glück. Er erhielt Asyl und konnte die Schritte zu einer neuen Existenz setzen.

In dem vorliegenden Buch hält Hans Thalberg Uberblick auf ein Leben reich an Höhen und Tiefen. Vor den Augen des Lesers zaubert er mit starken Farben die versunkene Landschaft des liberalen jüdischen Wiener Großbürgertums der zwanziger Jahre.

Den ersten Sprung in dieses harmonische Bild, dem auch der

Ubergang von der Monarchie, der sich die Familie tief verbunden fühlte, zur Republik nichts anhaben konnte, bildete der Zusammenbruch der Creditanstalt. Die dadurch erzwungene radikale Einschränkung des Lebensstandards war jedoch eine Kleinigkeit gegenüber der Erklärung zum Freiwild im Gefolge der NS-Machtergreifung.

Der Schock des März 1938 ist noch bald ein halbes Jahrhundert später aus jeder Zeile des einschlägigen Kapitels zu lesen, wenn sich auch der Verfasser einer bewundernswerten Zurückhaltung bei seiner Erinnerung an jene Monate, in denen er seine Eltern und seine Schwester das letzte Mal sah, bevor sie dem Holo-kaust zum Opfer fielen, auferlegt.

Hans Thalbergs Weg führte nach noch zurecht geglückter Ausreise als Engage volontai-re zunächst in die alliierten Streitkräfte, in denen er den deprimierenden Zusammenbruch Frankreichs erlebte. Nach einer kurzen Verschnaufpause schien die Flucht in die Schweiz die letzte Rettung.

Hier kommt es dann zu den Kontakten mit dem österreichischen Widerstand und im Gefolge der Alliierten zur Heimkehr nach Österreich, das ihm zunächst fremd erscheint. Frisch sind noch die 1938 geschlagenen Wunden. Zu sehr drücken die Schatten der nahen Vergangenheit.

Doch das Leben ist stärker. Österreich bleibt zunächst nur eine Zwischenstation. Als frischgebackener Diplomat verläßt er bald wieder die Heimat. Es gilt, eine österreichische Vertretung in den Vereinigten Staaten aufzubauen. An der Seite des Gesandten Ludwig Kleinwächter leistet Thalberg hier Pionierarbeit, von der er erst im Jahre des Staatsvertrages nach Wien zurückkehrt.

Hier lernt er dann den „ehrwürdigen” Ballhausplatz näher kennen. Ebenso aber auch die Kabalen der Kollegen und die Dschungelkämpfe zwischen Schwarz und Rot, in denen sich der Parteilose zunächst ziemlich verloren vorkommt. Eine schon 1948 mit einem „Kollegen aus Stockholm” gemachte erste Bekanntschaft verwandelt sich in ein immer stärkeres Vertrauensverhältnis zu dem nunmehrigen Staatssekretär und baldigen Außenminister Bruno Kreisky. Auf dessen Rat zieht Thalberg auch als Generalkonsul nach Berlin.

Was zunächst wieder als eine Art „Exil” erscheint, wurde zu einem sehr politischen, hochinteressanten Posten. Auch Mexiko und China — dort als erster österreichischer Botschafter — wird Thalberg noch kennenlernen und von diesen Missionen starke Eindrücke mitnehmen.

Dazwischen liegen jedoch auch Jahre als Kreiskys Pressechef, eine in mehr als einer Hinsicht nicht immer leichte Aufgabe, wodurch jedoch das ausgeprägte Loyalitätsverhältnis zu dem einstigen „Kollegen aus Stockholm” nicht getrübt werden konnte. Im Gegenteil. Bern ist dann die Endstation dieser Diplomatenkarriere. Ende und Anfang. Hier schließt sich der Kreis.

Als Frucht der seither vergangenen Jahre konnte Thalberg dieses Buch vorlegen. Der stille, eher in sich gekehrte Mann, der manchen ein Grübler schien und nur nach gewonnenem Vertrauen aus sich herausging, entpuppt sich als ein ebenso fesselnder wie freimütiger Erzähler, der mit seiner persönlichen Meinung auch zu heiklen Fragen keineswegs hinter dem Berg hält.

Dies betrifft nicht nur die Wiedergabe der Eindrücke, die er auf seinen verschiedenen Missionen gewonnen hat, sondern auch grundsätzliche Überlegungen zu Österreichs Außenpolitik. Thalberg bekennt sich hier als überzeugter Vertreter eines Österreich, ohne Bindestrich und ohne Wenn und Aber.

Feldmarschall Radetzky wird der Ausspruch zugeschrieben: „Es wäre so schön, Österreicher zu sein, wenn es nicht so schwer wäre. Aber wenn es nicht so schwer wäre, wäre es vielleicht nicht so schön.” Dieses Bonmot könnte auch als Devise dem vorliegenden Buch vorangestellt sein.

VON DER KUNST, ÖSTERREICHER ZU SEIN. Erinnerungen und Tagebuchnotizen. Von Hans J. Thalberg. (In der Reihe „Dokumente zu Alltag, Politik und Zeitgeschichte, Bd. 6). Verlag Hermann Böhlaus Nachf., Wien-Köln-Graz 1984. 524 Seiten, 34 Abb., Br., öS 340,-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung