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Digital In Arbeit

Ohne Purzelbaum

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Ich sehe eine Kindersendung im Fernsehen. Ein Computer (als Roboter dargestellt), ein junger Mann und ein junges Mädchen spielen eine Art moderne Kas-perl-Gretl-Krokodil-Szene. Der Computer ist computergescheit und deshalb zu fürchten, der junge Mann menschlich-dumm und deshalb komisch, und das junge Mädchen assistiert ihm sozusagen.

Das Ganze ist nett gemacht, nur bei längerem Hinsehen wird einem langweilig. Es fehlt darin eine Art Mutation, ein dramatischer Angelpunkt, um es kindlich zu sagen: der Purzelbaum. Und so ist auch die Stimmung bei den Kindern; sie lachen und unterhalten sich sichtlich, aber es fehlt der Uberschwang. Ich fange an, mir darüber Gedanken zu machen, höre nur mehr halb zu, verstärke dann wieder meine Aufmerksamkeit. Wie ein Psychiater warte ich auf den Freud'schen Versprecher.

Jetzt macht der Computer dem jungen Mann einen Vorschlag, wie man reich und mächtig werden kann. Dieser kennt sich zuerst nicht aus, und es bedarf der kräftigen Unterstützung des jungen Mädchens, daß er versteht. Nachdem er sich königlich über seine Intelligenzleistung gefreut hat, wird er plötzlich traurig und stammelt: „Ja, aber... es ist nur... (verschämt) ich hab noch nie reich und mächtig werden wollen!“

Da war er. Das war der Punkt, warum der Purzelbaum nicht funktionierte.

Er ist neu, dieser Punkt. Bisher hatten alle Kasperls, Pierrots, Narren, Zofen und Diener, und so weiter einträchtig reich und mächtig werden wollen. Ohne zu zögern und aus ganzem Herzen.

Und warum auch nicht?

Der stechende Blick des Diktators und die mit verzweifelter Agilität Herrschaftlichkeit signalisierenden Augen des Hans Mo-ser'schen Dieners haben ein Ziel. Nur erreicht der eine es, indem er über Leichen geht, während der Blick des anderen ins Schleudern kommt, weil er sich dauernd umsieht — seelisch — ob eh alle da sind. Wie eine Mutter nach ihren Kindern. Seine Hände verscheuchen alles Niedrige und bleiben an einem Staubflankerl hängen, das sie sorgfältig entfernen.

Mit jeder Steigerung dieses Machtwillens steigt auch die Unfähigkeit. Warum? Will er nicht reich und mächtig werden? Doch, doch. Er will. Er will den Reichtum und die Macht, aber — er liebt das Leben. Und das ist der Purzelbaum, den er zum Salto mortale steigert, wenn er noch reicher und mächtiger sein will und das Leben noch mehr liebt.

Ich möchte nicht zornig werden und den Spieß umdrehen, obwohl vieles in unserem Kulturbetrieb, auch in der Kinderliteratur, dafür spräche, es zu tun. Ich will die Worte nicht auf die Waage legen und nicht daran denken, daß die seelische Lebensqualität ständig abnimmt, während die kulturellen Aktivitäten zunehmen — dazu war die Sendung zu nett.

Ich wäre nur dafür, daß man die Goodwilltour den Politikern überläßt und das Moralisieren, auch wenn's ein alternatives ist, den Schulmeistern und daß die Lust und Liebe am Leben wenigstens in Kindersendungen wieder nach dem größten Stück Torte greifen darf. Kurz, ich plädiere für den Purzelbaum.

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