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Pfingsten — Zeit zu neuem Aufbruch

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In Prag ist vor kurzem etwas Fürchterliches passiert. Ein älteres Ehepaar stieg am Sonntag an einer Haltestelle aus der Straßenbahn und versank auf der Stelle im Erdboden. Infolge eines Wasserrohrbruches war unter dem Straßenbelag eine Aushöhlung entstanden, in welche die beiden hinunterrutschten. Dem zweiundfünfzig Jahre alten Mann gelang es, sich so lange festzuklammern, bis man ihn retten konnte. Seine um vier Jahre ältere Frau wurde von den flutenden Abwässern fortgerissen und ertrank.

Wohl dem, der blind für Symbole ist... dem die Haut über den zweiten Augen niemals aufriß. Straßenbahn, Ehepaar, Haltestelle, Unterweltstrom — eine so dichte Zusammenballung von Bedeutung auf allerengstem Raum muß sich wohl in einem Unglück entladen. (Botho Strauß, Widmung)

Jerusalem ... als der Pfingst-tag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da erhob sich plötzlich vom Himmel her ein

Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie weüten. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer... und der Heilige Geist ließ sich auf jeden von ihnen nieder... und sie begannen in fremden Zungen zu reden... die Menge strömte zusammen und war ganz bestürzt... alle gerieten außer sich und waren ratlos; die einen sagten zueinander: Was hat das zu bedeuten? Andere aber spotteten: Sie sind voll des süßen Weines ... (Apostelgeschichte 2)

Salzburg, Pfingsten 1946 ... katholische Studenten/innen aus den österreichischen Hochschul-orten Wien, Graz, Innsbruck und Salzburg waren versammelt. Studierende aus Frankreich, Deutschland und Holland waren gekommen. Am Vorabend von Pfingsten versammelten sich die Teilnehmer im Saal des Rathauses, wo mit großer Herzlichkeit und Offenheit die gegenseitige Begrüßung erfolgte. Es waren alle Teilnehmer voll der Erwartung von dieser Tagung. (Karl Strobl, Erfahrungen und Versuche)

Die Katholische Hochschuljugend Österreichs (KHJÖ) wurde gegründet. Die Studenten/innen, nach den apokalyptischen Erfahrungen des Krieges, gaben sich geistigen Ort und Perspektive und nach langen Diskussionen ein „Inneres Statut“.

Daraus einige Kernsätze:

1. Im Religiösen kein Minimalismus. Pflege des geistigen Lebens in sakramentaler Frömmigkeit.

2. Leistung im Studium und Beruf, Tüchtigkeit als Legitimation. Unterscheidung von Wahrheit und Lüge im persönlichen und öffentlichen Leben. Kompromißlose Wahrhaftigkeit sich selbst und der Welt gegenüber.

3. Helfen auf alle Fälle. Kampf gegen Korruption, auch im kleinen.

4. Konkrete kirchliche Arbeit in Diözese, Pfarre und in den Katholischen Hochschulgemeinden (KHG).

Ein „Zeichen“ gaben sie sich noch. Dem einen Geist, dem einen Willen zur Gemeinschaft wollten sie eine Form geben. Der Glaube wollte ein äußeres Zeichen des Bekenntnisses. Auf das einfachste Zeichen des Kreuzes wurde verwiesen, auf das Tau, das T, wo das Wesentliche des Christentums dargestellt ist. Zwei Galgenbalken, ein senkrechter in der Erde, in menschlicher Schwäche wurzelnd, ein waagrechter: zwei Arme, die die Welt umfangen wollen.

Gruppe... Die Lebenszelle der KHJ war die Gruppe. Sie hatte acht bis zehn Mitglieder. Es dauerte einige Jahre bis sich dieses Strukturelement durchsetzte. Als Bildungs-, Aktions-, Altar- und Lebensgemeinschaft trug sie bei, die Planung einer umfassenden Organisation am Hochschulort zu ermöglichen. Die Schriftlesung war ein essentieller Teil der Zusammenkünfte. Zusammendenken und -wirken dieser Gleichgesinnten machten die KHJ präsent und spürbar. Katholische Aktion am Universitätsboden entfaltete sich.

Mitte der fünfziger Jahre hatte die KHJ einen Mitgliederstand von etwa 800 Studenten/innen. In jeder Gruppe war ein Priester oder Theologe dabei. Den Theologen des Wiener Priesterseminars war es Anfang der sechziger Jahre nicht gestattet, Mitglieder der KHJ zu werden. Der Cartellver-band (CV) stand ihnen aber offen.

Blätter... „Blätter, eine Zeitschrift für Studierende“. Die Blätter waren ein nicht unangefochtenes Sprachrohr der KHJ, waren sie doch Plattform der Auseinandersetzung und der Klärung von Positionen. Es kam zu Schwierigkeiten, ja zu Konfrontationen mit dem CV. Der verschiedene religiös-sittlich-politische Anspruch wurde hier ausgetragen.

Die KHJ verstand ihr politisches Engegement eher in einer politischen Grundsatzdebatte, suchte das Gespräch mit allen politischen Gruppierungen, hielt aber zugleich Liaisondistanz zu diesen und wurde somit Wegbereiterin für spätere kirchliche Erklärungen, die die Kirche für alle österreicheröffnen wollten.

Die kritischen endsechziger Jahre machten auch nicht halt vor der KHJ. Die Kritik an den Strukturen der Kirche wurde genau so vorgebracht wie an denen von Staat und Gesellschaft.

Trotz aller gegenteiligen Bemühungen haben sich KHJ-Gruppen in dieser Zeit aufgelöst, sodaß ein gefährliches Vakuum entstanden ist.

Vorträge... Mitte der sechziger Jahre ging die KHJ mit ihrer Bildungsarbeit immer mehr an die Universität. Vorträge von Karl Rahner, Piet Schoonenberg, Wilhelm Dantine versammelten bis zu 800 Hörer im Wiener Auditorium Maximum und in den anliegenden Hörsälen. Eine Gruppe Studenten aus dem CV organisierte anläßlich der 600-Jahr-Fei-er der Universität Wien das Symposion 600, das die intellektuelle und politische Potenz des CV auf hervorragende Weise unterstrich. Leider war dies nur eine vorübergehende Erscheinung.

Synode... Früchte trug die kontinuierliche Arbeit “ in der Hochschulseelsorge bei der Wiener Diözesansynode (1969-1971) und beim österreichischen Synodalen Vorgang (1974). Wurden doch damals Weichen gestellt für die pastorale Aufbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das neue Pastoralkonzept der österreichischen Diözesen geht sehr stark auf die Initiativen österreichischer Hochschulseelsorger und von Mitgliedern der KHJ zurück.

„Alles über die Laien, aber nichts ohne den Priester“, war die Arbeitsweise in der KHJ. Diese Grundeinstellung hat der Kirche von Österreich Autorität und Glaubwürdigkeit in den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen und Parteien eingebracht. Der ideologische Kampf konnte kirchlich integriert werden und hat sich somit nicht verselbständigt.

Studientagungen... Seit 1950 gibt es die „Bauernkundliche Studientagung“, seit 1970 auf „Agrar-politische Studientagung“ umbenannt. Internationale Fachleute und Studenten der Bodenkultur machen sich Gedanken zu aktuellen Fragen des Landvolkes^jier Agrarpolitik und der Dritten Welt.

Seit 1979 gibt es auch die „Wirtschaftspolitische Studienta-gung“. Das besondere Interesse der KHJÖ gilt den Kontakten mit Studentengemeinden in sozialistischen Ländern des „Ostblocks“.

Liturgie... Die versachlichte Politik, die steigende Anonymität an der Universität, bedingt durch Verdreifachung der Hörerzahl, das auf „Prüfungsleistung“ angelegte Studium Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre weckt in der Studentenschaft die emotionale Fähigkeit und macht sie fruchtbar für neue Formen der Liturgie.

Die Gottesdienste der KHG und KHJ werden genauestens vorbereitet. Man will aus den Kapellen der Studentenhäuser heraustreten und einen Studentengottesdienst öffentlich in einer Kirche anbieten. Seit Ostern 1986 findet diese Studentenmesse jeden Sonntag um 9.30 Uhr in der Mino-ritenkirche, Wien 1. statt.

Eine große Sorge stellt zur Zeit die schwindende Bereitschaft von Studenten dar, sich an Vereine, somit auch an die KHJ zu binden. Neue Gruppen, Ökologie-, Frauen-, Friedensbewegung gehen an der KHJ nicht spurlos vorüber. Eine neue Orientierung der studentischen Generation geht durch alle Reihen. Möge bei dieser 40-Jahr-Feier „die Haut über den zweiten Augen aufgerissen werden“, mögen die Zeichen der Zeit erkannt werden, von kirchlichen Verantwortlichen wie von katholischen Studenten. Möge das Gespräch zwischen diesen bestehen bleiben.

Mit den Vorbereitungen und der thematischen Ausrichtung dieses Festes will die KHJÖ wieder Tritt fassen, nach einer längeren „Wüstenwanderung“, nach einigen kurzen Oasen der Rast will sie weitergehen auf ihrem Weg „der Verheißung“. Die Reise ist wahrlich weit und gewaltig, aber die Zusage aus der Geschichte und der Ruf aus der Zukunft lassen sie nicht halt machen.

Der Autor ist Studentenseelsorger in Wien.

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