6883016-1979_16_11.jpg
Digital In Arbeit

Schwarze Segelschiffe

19451960198020002020

Der hier veröffentlichte Vorabdruck aus dem ersten Kapitel des neuen Romans von Erich Wolfgang Skwara, „Schwarze Segelschiffe“, stellt das neue Werk eines bedeutenden jungen Autors vor. Der Roman spielt - vordergründig - im Schauspielermilieu: die Beziehung eines Regisseurs zu einer Schauspielerin wird geschildert. Auch die übrigen Personen agieren wie Schauspieler oder besser gesagt, wie Marionetten. Der in den Vereinigten Staaten lebende Autor will den Roman als Symbol verstanden wissen, die „Schwarzen Segel“ bedeuten Trauer, Auflehnung und Unmöglichkeit der Kommunikation der Menschen untereinander. Die FURCHE wird den Roman in einer der kommenden Nummern ausführlich besprechen.

19451960198020002020

Der hier veröffentlichte Vorabdruck aus dem ersten Kapitel des neuen Romans von Erich Wolfgang Skwara, „Schwarze Segelschiffe“, stellt das neue Werk eines bedeutenden jungen Autors vor. Der Roman spielt - vordergründig - im Schauspielermilieu: die Beziehung eines Regisseurs zu einer Schauspielerin wird geschildert. Auch die übrigen Personen agieren wie Schauspieler oder besser gesagt, wie Marionetten. Der in den Vereinigten Staaten lebende Autor will den Roman als Symbol verstanden wissen, die „Schwarzen Segel“ bedeuten Trauer, Auflehnung und Unmöglichkeit der Kommunikation der Menschen untereinander. Die FURCHE wird den Roman in einer der kommenden Nummern ausführlich besprechen.

Werbung
Werbung
Werbung

„Ich bin der Regisseur“, sagte der Regisseur, „und ich werde euch auf eure Plätze stellen. Eure Handlungen gehören euch, ihr seid frei; das kümmert mich nicht, solange ihr zu gehorchen wißt, wenn ich plötzlich in eure Leben hineinrufe: nein, nicht so, anders! Ich bin der Regisseur: das sollt ihr nie vergessen.“

Der Regisseur richtete sich im Sitzen auf und blickte in die Runde seiner Gäste. Er hätte diese wenigen Menschen, die um ihn versammelt waren, seine Freunde nennen können, aber er zog das Wort Gäste vor. Schließlich hatte er sie nur, wieder einmal, zusammengerufen, um ihnen einzuhämmern, daß er - und kein anderer - der Regisseur war.

Einmal im Monat, manchmal auch öfter, holte er sie unter irgendeinem Vorwand zusammen, um sie an seine, des Regisseurs, Funktion zu erinnern. Diese Zusammenkünfte endeten stets peinlich.

'I Der Stolz in den Augen des Regisseurs-trug- eine Dunkelheit, die zu jsolchen Augen nicht gehörte. Die Pupillen waren nachgedunkelt, wie Silberketten, ' die innerhalb von Stunden schwarz werden können, wenn ein kranker Mensch sie um den Hals legt.

Der Regisseur \rank viel, täglich einige Flaschen, aber nie trank er etwas anderes als Wein. Wieder einmal war er nun betrunken, und wenn er betrunken war, dann brauchte er Menschen um sich. So erfüllten ^die Zusammenkünfte mit den Gästen, die zum Erinnern und Ermahnen dienten, eigentlich einen doppelten Zweck,

Auch im Exil umgab sich der Regisseur mit Menschen,'die er Schauspieler nannte, auch wenn sie keine Schauspieler waren. Vor vielen Jahren hatte er sein Land, Deutschland, und seine Stadt, München, verlassen, und er war seither nicht wieder dorthin zurückgekehrt, nicht für eine Stunde. Weil er aber zu jeder Zeit dorthin hätte fahren können, wirkte das Exil des Regisseurs lächerlich.

Zu Hause war der Regisseur nicht eben berühmt gewesen - Regiekonzepte werden oft verkannt, bleiben häufig unverstanden wie literarische oder musikalische Konzepte -, und im Exil war der Regisseur überhaupt arbeitslos.

Obwohl er schon so viele Jahre in. Frankreich verbracht hatte, sprach er kaum Französisch. So lebte er an Paris vorbei; das wußte er und das schmerzte ihn, aber gerade das wollte er.

Vor allem fehlten dem Regisseur-die notwendigen Berufskontakte. Es', fehlte ihm alles, was einer zum Weiterkommen braucht. Aber kommt einer, der nicht weiterkommt, deshalb weniger voran?

Der Regisseur war kein schöner Mensch; wenn er bei Tisch saß, wirkte er wie ein kauernder böser Gnom, aber trotzdem wirkte er beeindruckend.

Er verfügte über eine herrliche Artikulation, über eine bewundernswerte Sprechstimme, aber er rezitierte nur, wenn er allein durch einen verlassenen Park wanderte. Meistens verhielt er sich still.

Dabei beherrschte er, täglich sich vervollkommnend, die Kunst der Regie, die bekanntlich stumm sein kann. Wohin der Regisseur auch ging, auf Straßen und in Häusern, auch in der eigenen (fast leeren) Wohnung, führte er Regie.

Wann immer etwas geschah, das nicht in die allgemeinen Absichten paßte, faselten die Betroffenen von Zufall oder gar von Schicksal. Solches Gerede betrübte den Regisseur; außer ihm schien keiner zu wissen, daß die beste Regie immer auch grausam und unsichtbar ist.

Um Geld zu verdienen, arbeitete der Regisseur als Fremdenführer. Er setzte sich in einen großen Reisebus, ergriff das Mikrofon und erklärte irgendwelchen Touristen die Stadt Paris. Jeden Morgen teilte er so die Exilstadt in neue Dimensionen und Kategorien ein, keine der Gruppen hörte jemals dasselbe. Der Regisseur verfügte sogar über die Weltstadt Paris.

Da lief Tristan in das Zimmer und rief atemlos: „Die Schauspielerin kommt!“

Aile wandten ihre Gesichter augenblicklich dem Rufenden zü; sie glaubten, die Schauspielerin würde in dieser Sekunde hereinkommen. Aber nur Tristan betrat das Zimmer, stand zögernd im Türrahmen. Seit Wochen hatte er, lästig für alle, von dieser Schauspielerin geschwärmt. Dabei wußte niemand, von welcher Schauspielerin die Rede war: Tristan verriet nicht ihren Namen, sprach stets nur von der Schauspielerin, betonte das Wort jedesmal mit schwelgender Emphase.

Die Schauspielerin sollte aus München kommen, wo ja auch der Regisseur einmal gelebt hatte. In München hatte Tristan sie vor vielen Jahren einmal geliebt. Damals • hatten die beiden den kindischen Plan gefaßt, zusammenzuleben, aber dann mußte Tristan, getrieben von seiner Unrast, in andere Erdteile gehen, und die beiden hatten sich wieder aus den Augen verloren.

Sie hatten einander seither nicht mehr gesehen, und es hatte auch keine Briefe zwischen den beiden gegeben. Erst als Tristan nach Paris zurückgekehrt und dort dem Regisseur begegnet war,y hatte er sich der Schauspielerin erinnert. Die Erinnerung war, unverständlich für Tristan, rasch zur Sehnsucht geworden.

Tristan hatte den Kopf geschüttelt und über sich, selber gestaunt, als er endlich, nach so vielen Jahren, ans Telefon gegangen war, um die Schauspielerin anzurufen.

„Es ist schon sonderbar, wie einfach man euch Zu allen Zeiten erreichen kann“, hatte Tristan zur Erstaunten gesagt. „Immer seid ihr am gleichen Ort-unter der gleichen Telefonnummer vorzufinden, als würdet ihr alle nichts anderes tun als warten. Ich finde das herrlich und schrecklich zugleich.“

Die Schauspielerin wunderte sich über diese Begrüßung und über den Plural der Anrede, fand auf Tristans Gedanken keine passende Entgegnung. Und als Tristan sie schließlich einlud, nach Paris zu kommen, nahm sie die Einladung ohne Zögern an.

Am nächsten Tag schon schickte ihr Tristan die Flugkarte. Aber die Schauspielerin hatte Termine, der Flug mußte verschoben werden, es kam zu weiteren Telefonaten, die jedoch Sinn und Zweck der Reise im dunkeln ließen. Auch wunderte sich

Sie Schauspielerin, warum ihr Tristan keine Rückflugkarte mitgeschickt hatte, aber sie dachte nicht viel darüber nach. Sie war noch nie in Paris gewesen, und sie wußte nicht, ob sie die Einladung wegen dieser Stadt oder wegen Tristan angenommen hatte.

„Die Schauspielerin kogimt!“ wiederholte Tristan und ging bis zur Zimmermitte vor. Es gab keinen leeren Sessel mehr für ihn, und dieses Faktum irritierte ihn, Tristan, dem sich alles, sogar die Freude, in Trauer verwandelte. Sofort leitete er aus dem lächerlichen Zufall eine große Feindschaft der Menschen und Dinge ab, bereute, „die Schauspielerin kommt“ gesagt zu haben. Sein Gesicht errötete vor Verlegenheit; noch immer starrten ihm die Gäste des Regisseurs entgegen, obwohl er schon längst inmitten und nicht länger außerhalb der Starrenden stand.

Das Wort „Schauspielerin“ wirkte auf den betrunkenen Regisseur wie ein Signal. In seiner abwesenden Versunkenheit hatte er während der vergangenen Wochen Tristans Reden nie wahrgenommen, obwohl längst von der Schauspielerin die Rede gewesen war.

„Wenn eine Schauspielerin kommt“, sagte der Regisseur, „dann habe ich ihren Auftritt zu bestimmen. Es spielt dabei keine Rolle, wen die Schauspielerin besuchen kommt: der Regisseur bin ich!“ Der Regisseur stand auf und ging zur Tür; er nahm an, die Schauspielerin würde jeden Augenbück eintreten.

„Nein!“ rief Tristan. „Die Schauspielerin ist noch in München. Sie besteigt in diesem Augenblick das Flugzeug. Ich habe also noch eine halbe Stunde Zeit, dann fahre ich zum Flughafen, um die Schauspielerin dort abzuholen.“

„Und ich werde mitkommen“, sagte der Regisseur. „Du, Tristan, der Traurige, und ich, der Regisseur, wir holen gemeinsam die Schauspielerin ab: gemeinsam fangen wir sie ein ...“

Tristan, der nicht ausmachen konnte, ob ihm diese Aussicht gleichgültig oder lästig war, wehrte sich nicht gegen die Entscheidung des Regisseurs. Er sagte zustimmend: „Gut, dann holen wir also die Schauspielerin gemeinsam ab.“

Im Taxi wunderten sich Tristan und der Regisseur, wie einfach es ist, für ein wenig Geld die Bestimmung fremder Menschen zu deren eigener Bestimmung zu wandeln.

„Jeder Beruf ist im Grunde eine abscheuliche Prostitution“, sagte Tristan. „Am übelsten jedoch sind die Schauspieler: sie verkaufen nicht nur ihre Zeit und ihre Ziele, sie verkaufen sogar ihre Gefühle - weil ein guter Schauspieler seine Gefühle ja nicht spielt, sondern erlebt.“

„Der beste Schauspieler ist zugleich der gemeinste Mensch“, entgegnete der Regisseur, „aber ähnlich ist es mit den meisten Berufungen. Ich bin einer der bedeutendsten Regisseure, zur Strafe bin ich arbeitslos.“

Tristan wurde, je mehr sich das Taxi dem Flughafen näherte, zunehmend nervöser. Der Regisseur bekam ein spitzes Gesicht und erinnerte Tristan an eine lauernde Spinne.

„Ich habe für die Schauspielerin noch keine Rückflugkarte gekauft“, sagte Tristan beiläufig, und der Regisseur meinte gelangweilt: „Das hast du gut gemacht, denn die Schauspielerin wird keine Rückflugkarte mehr brauchen.“ Die beiden schwiegen, dann sagte Tristan, sichtlich erregt: „Vielleicht werde ich'die Schauspielerin nicht wiedererkennen; es ist viele Jahre her, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe.“

„Einen Schauspieler, eine Schauspielerin“, winkte der Regisseur ab, „wird man immer sofort erkennen. Man will diese Menschen gar nicht erkennen und erkennt sie doch augenblicklich.“

„Aber was soll ich tun, wenn die Schauspielerin inzwischen häßlich geworden ist? Ich kann häßliche Menschen nicht ertragen“, sagte Tristan.

„Ein Schauspieler kann, im Unterschied zu anderen Menschen, gar nicht häßlich werden“, meinte der Regisseur. „Ein Schauspieler ist unter allen Umständen brauchbar.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung