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Sehr viel Toleranz

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Roderich Menzel, Jahrgang 1907, gebürtig aus Reichenberg in Nordböhmen, war vor dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit Laci Hecht aus Sillain und Laci Klein aus Preßburg einer der weltberühmtesten Tennisspieler. Dieses Team, unter dem sich kein einziger Tscheche und Slowake befand, trug immer wieder die tschechoslowakischen Farben bei den Tennismeisterschaften zum Sieg. Daneben entpuppte sich Roderich Menzel bereits als ein sehr feinfühliger Novelist und brillanter Journalist, dessen Artikel — vor allem im „Prager Tagblatt“ — von aller Welt gerne gelesen wurden. Nach 1945 mußte auch er . endgültig die böhmischen Länder verlassen und siedelte sich, wie so viele seiner Landsleute, in Bayern an. Obwohl für das Tennisspiel nicht mehr der jüngste, konnte er dennoch ein Comeback als Meister des Rackets feiern. Nicht weniger als über 330 Tennissiege hat er im Laufe seines Lebens erringen können. Während er so als Tennisspieler neue Triumphe feierte, konnte er den eigentlichen Gipfel seiner schriftstellerischen Tätigkeit erst jetzt erklimmen. Unter dem Pseudonym Clemens Parma schrieb er eine Reihe von Biographien, Romanen und wurde vor allem durch seine Kinderbücher bekannt. Vor kurzem erschien unter seinem richtigen Namen im Amalthea-Verlag (Inhaber: Dr. Fleissner aus Eger) sein bisher letztes Werk: „Als Böhmen noch bei Österreich war.“ Es ist die Geschichte einer deutsch-böhmischen Industriellenfamilie in den letzten Jahrzehnten des Bestandes der Monarchie. Glänzend versteht der Autor die Atmosphäre dieses deutschböhmischen Milieus einzufangen. Ist er doch selbst in einer solchen Atmosphäre aufgewachsen. Der stille, noble Lebensstil dieser böhmischen Grandbourgeois-Familien, die in sehr eleganten Villen mit schönem, aber nicht protzigem Komfort ein bürgerlich-feudales Leben führten, aufgebaut auf viel Fleiß in den ererbten Betrieben, wird durch den Autor glücklicherweise durch sein Buch der Nachwelt überliefert Aber auch die vielen Spannungen, die in dieser Schicht herrschten — die einen waren etwas deutschnational, die anderen sehr proösterreichisch —, treten deutlich zutage, gemildert immer wieder durch die Liberalität und Toleranz, die dieser Schicht zueigen war. Man hat der deutschböhmischen Welt oft nachgesagt, daß sie sehr antiösterreichisch gewesen sei. Tatsächlich gab es gelegentlich ein Liebäugeln mit dem Hohenzollern-Reich und eine übermäßige Verehrung Bismarcks. Aber diese Richtungen waren mehr in den unteren Schichten des deutschböhmischen Volkes vorzufinden als in den oberen. Diese Grandbourgeois-Familien Böhmens waren alle sehr pro-österreichisch, wenn sie auch von der Gestaltung der Monarchie eine bestimmte Vorstellung hatten, die manchmal an der Wirklichkeit vorbeiging. Als Liberale waren sie Josephiner und als solche Zentralisten, die den Deutschen in der Monarchie einen gewissen Vorrang eingeräumt sehen wollten. Aber ansonst hingen sie mit allen Fasern an diesem Reich und brachten im letzten Waffengang der Monarchie die größten Opfer. Und konnten sich kaum in die Verhältnisse nach 1918 eingewöhnen. Die Wirtschaftskrise nach 1930 hat fast alle diese Familien unter die Räder gebracht. Mit Wehmut dachten sie alle und denken sie heute an die schönen Zeiten vor 1914 zurück, als „Böhmen noch bei Österreich war“. Mit seinem neuesten Werk hat Roderich Menzel eine Art von deutschböhmischem „Buddenbrook“-Roman geschrieben. Jeder, der diese Welt kannte, wird ihm dankbar dafür sein.

ALS BÖHMEN NOCH BEI ÖSTERREICH WAR. Roman. Von Roderich Menzel. Amalthea-V erlag, Wien. 319 Seiten, S 19i.—.

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