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„Sitzungsuniversität“

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Die große Kaiserin Maria Theresia ist in Österreich nicht nur die Schöpferin eines umfassenden Volksschulsystems gewesen, sondern hat auch die Hochschulen aus ihrem barocken Dornröschenschlaf gerissen. Jetzt will eine andere Frau in Österreich das System und die Organisation der Hochschulen entscheidend — und auf Dauer — verändern: der Wissenschaftsminister der Zweiten Republik, Frau Dr. Hertha Firnberg.

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Die große Kaiserin Maria Theresia ist in Österreich nicht nur die Schöpferin eines umfassenden Volksschulsystems gewesen, sondern hat auch die Hochschulen aus ihrem barocken Dornröschenschlaf gerissen. Jetzt will eine andere Frau in Österreich das System und die Organisation der Hochschulen entscheidend — und auf Dauer — verändern: der Wissenschaftsminister der Zweiten Republik, Frau Dr. Hertha Firnberg.

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Daß Bach Auflassung der- parlamentarischen Hochschulreformkommission sogleich ein ernster Krieg ausbrechen werde, stand ursprünglich gar nicht fest.

Vielmehr meinte man allgemein, daß das Ministerium die vielen Meinungsäußerungen in diesem Gremium und auch das Ergebnis ausländischer Reformversuche an den Hochschulen in einen Gesetzentwurf einarbeiten werde: hatte sich die Frau Minister doch auch in die Bundesrepublik begeben und war dort mit der Auffassung zurückgekehrt, daß so wie in Deutschland die öHochsehulen»..nicfat refa»-

miert werden sollten.

Um so erstaunter registrierte daher die Öffentlichkeit, daß der Entwurf zum Universitätsorganisationsgesetz — im politischen Kürzel UOG bezeichnet — die Fehler deutscher Hochschulreformgesetze zu wiederholen schien (siehe vor allem Adam Wandruska in der „Furche“ 39/72).

Nunmehr ist daher die Auseinandersetzung um das UOG in voller Schärfe entbrannt: • Das Ministerium setzt allen politisch-mobilisierbaren Ehrgeiz ein, das Gesetz noch in dieser L— offenbar auch nur mit iden SPÖ-Stimmen — im Parlament durchzupeitschen; Minister Firnberg tendiert dazu, ihr politisches Schicksal mit dem des UOG-Entwurfes zu verbinden;

• die Professorenschaft steht nahezu geschlossen gegen den Entwurf und bekämpft ihn auch unter Einsatz des modernen publizistischen Managements; der Vorsitzende der Rektorenkonferenz, Professor Winkler, weiß sowohl als Hochschulpraktiker wie als Verfassungjurist, die zahlreichen Schwächen des Entwurfes beim Namen zu nennen: in Hinkunft sollen die Professoren entmündigt und der Willensbildung nichtqualifizierter Personen unterstellt werden.

• die Studentenschaft ist gespalten: der (FPÖ-nahe) Ring Freiheitlicher Studenten lehnt den UOG-Entwurf ab, die ÖVP-rrahe ÖSU stimmt ihm insbesondere in bezug auf die studentische Mitbestimmung zu. Deshalb ist anzunehmen, daß es innerhalb der ÖVP schon demnächst zu einer Spaltung zwischen einer „Professoren“-und einer „Studentenfraktion“ kommen wird.

Aus den zahlreichen Meinungsäußerung«! zum UOG-Entwurf besticht vor allem die Einheitlichkeit der philosophischen Fakultät, die durch die starke Durchgliederung in Institute am stärksten davon betroffen ist, daß demnächst aus einer Forschungs- und Lerneinrichtung eine Sitzungsuniversität wird: die Professoren jedenfalls würden nur von einer Besprechung in die andere laufen und keine Zeit mehr für die Studenten, geschweige denn für ihre Forschungsarbeiten haben. Die Befürchtungen der Professoren vor übertriebener studentischer Mitbestimmung formuliert der Dekan der Wiener Phisosophischen Fakultät, Troger, aber auch als Sorge, daß die

Gremien nur noch „Tummelplätze von studentischen Apparatschiks“ werden würden. Tatsächlich: an Hochschulwahlen beteiligen sich ja weniger als 50 Prozent der Hörer, weshalb es Minigruppen nach neulinkem Kadervorbild nur allzu leicht möglich ist, Institute, Fakultäten, ja selbst ganze Hochschulen lahmzulegen.

Den Vorwurf eines reaktionären Elitedenkens kontert der Salzburger Dekan Revers eindeutig: „Auch unter den Professoren sind die Demokraten in der Mehrheit.“ Und ganz allgemein stellen die Ordinarien der philosophischen Fakultäten fest, daß sie einerseits die Hochschulreform nicht nur nicht ablehnen, sondern für wirklich dringlich und wichtig erachten, anderseits aber auch die Mitbestimmung — wo sie sachlich und fachlich berechtigt ist — begrüßen: etwa bei den Studienkommissionen und auch bei der Durchführung der bereits teilweise beschlossenen neuen Studiengesetze.

Es fällt auf, daß die Professorenschaft hier mit den Forderungen des akademischen „Mittelbaues“ — also der Assistenten — konform geht: man begrüßt auch die Möglichkeit interfakultärer Institute, die Reform des Bibliothekswesens, die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis. Hart aber bleibt man in der Ablehnung der Grundtendenzen des UOG-Entwurfes:

• Der UOG-Entwurf hat eine große Anzahl von Beratungs- und Beschlußgremien vorgesehen, die die Universitäten in Zukunft zu Sitzungsuniversitäten machen werden. Die Hauptaufgaben der Hochschulen, „Lehre und Forschung“, wäre daher in Zukunft nur noch zweitrangig.

• Die Konstruktion des UOG, in der Nichtqualifizierte letzte Entscheidungen zu fällen haben, könnte die Ausbildung der Studierenden nicht mehr gewährleisten. Dadurch würden Probleme für die österreichische Bevölkerung und die österreichische Wirtschaft auftreten, es würde Rechtsunsicherheit die Folge sein, da die Gesetzeskenntnis nicht mehr das notwendige Niveau erreicht und Gefahr für das Leben, wenn in den Kliniken nicht mehr fachliche Gesichtspunkte auschlaggebend wären.

• Die Durchführung des UOG bringt anstatt Verwaltungsvereinfachung eine Verbürokratisierung und ververlangt zusätzliches Personal.

• Die vorgeschlagene Struktur der Universitäten hätte zwingend eine Verpolitisierung im Sinne einer Par-teienverpolitisierung zur Folge. Es ist eine unwidersprochene Tatsache, daß akademische Lehre und Forschung nur in einem Freiheitsraum gedeihen können.

Dekan Troger meint dazu: „Mendel hätte seine Vererbungslehre nie aufgestellt, hätte er vorher in einem akademischen Rat darüber abstimmen lassen müssen ...“

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