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Freiheit der Wissenschaft gesellschaftsrelativiert?

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Wer im Entwurf für das neue SPÖ-Parteiprogramm die eine Spalte, die von 16 Seiten „Wissenschaft, Forschung und Universität“ gewidmet ist, durchliest, mag vielleicht dem Konzept unter dem Titel „Bereit für die achtziger Jahre“ zustimmen. Man gleitet von ansprechenden Begriffen wie „Toleranz, Verständnis und Aufgeschlossenheit“, „Lösung der Probleme Unserer Zeit“ über Bekenntnisse zur Freiheitssicherung, Vielfalt der Lehrmeinungen, stärkerem Praxisbezug der Lehre zu Forderungen nach gleichen Zugangschancen, demokratischer Organisation und Forcierung der Gesellschaftswissenschaften.

Zum größten Teil ganz anders aber klangen die Erklärungen des Zentralsekretärs Karl Blecha und von Wissenschaftsminister Hertha Firnberg auf einer Veranstaltung des Karl-Renner-Institutes an der Linzer Universität. Selbst ein geladener Diskussionsredner verlangte unter starkem Applaus, daß man das, was gesagt wurde, auch hineinschreiben hätte sollen.

Abgesehen davon, daß Wissenschaft und Forschung „Sache des ganzen Volkes“ seien, verlangte Hertha Firnberg das „öffnen des elfenbeinernen Turms für die Öffentlichkeit“, also für Gruppen, die außerhalb der „scientific comunity“ stehen. Die Freiheit der Wissenschaft sei kein Privileg für eine „elitäre Gruppe“. Der gesamten Bevölkerung müßte die Mitbeteiligung an forschungspolitischen Entscheidungen gewährleistet werden.

Die Freiheit der Wissenschaft wird von den Sozialisten schriftlich (aber erst in der zweiten Hälfte der Ausführungen im Konzept) betont; doch verbal hört es sich anders an. Blecha, nach dessen Meinung erst seit 1970/71 eine nach Konzepten geplante eigene österreichische Wissenschafts- und Forschungspolitik existiert, betonte: „Freiheit ja, aber das ist ein gesellschaftsbezo-gener Begriff.'*

Minister Firnberg erteilte die „Absage an alle Privilegien der Wissenschaftsfreiheit“, und es ist für sie die Wissenschaft nicht mehr allein die sich /reibestimmende Gemeinschaft; daher mußte sie auch den ihrer Meinung nach „scheinbaren“ Widerspruch zwischen den Postulaten der Freiheit der Wissenschaft und der Gesellschaftsrelevanz der Forschung damit „lösen“, daß - als Definition der „Freiheit der Wissenschaft“ -der Wissenschafter in seinem wissenschaftlichen Beitrag und in der Durchführung seiner wissenschaftlichen Arbeiten frei sein müsse. Warum aber die Einschränkung auf nur zwei Teilgebiete?

„Die ethische Verpflichtung der Wissenschaft als Sozialisationsfak-tor wie als emanzipatorische Kraft... wird demonstrativ akzentuiert“, betonte Dr. Firnberg. Muß der „der Gesellschaft verantwortliche Wissenschafter“ (Blecha) diese Gesellschaft um ihre Zustimmung bitten, ob ein Tonscherben der Schicht Troja VI oder VIII zuzuordnen sei oder ob 2 x 2 wirklich 4 sei? Oder wird er sich in Zukunft an die „Repräsentanten der Gesellschaft“, die Parteipolitiker, wenden müssen, um dazu die Zustimmung zu bekommen?

Erfreulicher klingt die Behandlung der nicht mehr „Elite-, sondern Massenuniversitäten“, mit ihren „neuen Erkenntnissen das Weltbild ständig verändernd“. Ohne auch nur ein Wort über Studienreform oder Ausstattung lesen zu können, werden die überragende Bedeutung der Universitäten und die Ablehnung des Numerus clausus „in welcher Form auch immer“, sowie die „grundsätzliche Unentgeltlichkeit des Studiums“betont.

Demokratie und Hochschulen besitzen sowohl ein äußeres als auch ein inneres Bezugssystem, und die Mitbestimmung und Mitverantwortung aller im Wissenschaftsprozeß Tätigen - abgestuft nach dem Prinzip der Qualifikation - sei gewährleistet (zur Forschungsdemokratisierung mußte die Ministerin beim Pressegespräch allerdings einräumen, daß sie „nicht zufriedenstellend“, aber „angefangen“ sei).

Großes Gewicht legte Minister Firnberg auf die außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Österreich, die schon wegen des Vergleichs mit dem Ausland eine Notwendigkeit darstellen sollen; eine Konkurrenzierung sei wünschenswert, und es existieren Forschungsgebiete, die für eine universitäre Behandlung nicht ausgereift und für eine Universitätseingliederung nicht geeignet seien. Nur, geht das wieder einmal auf Kosten des ohnehin schon dezimierten Universitätsbudgets?

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