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So hört doch auf!

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So hab' ich mir's nicht vorgestellt. Ich hab's befürchtet und war dann beglückt, als es anders wurde.

Aber jetzt sind wir mitten drin in den frühen dreißiger Jahren.

Seid Ihr, sind wir von Gott verlassen?

Die Iden des März sind ein Schicksalsdatum, nicht nur für Caesar.

Mitte März 1938 habe ich Osterreich verlassen müssen, mit einem kleinen Koffer und ohne Chance. Ich habe mich von diesem Tag an nach jenem Österreich gesehnt, das es nicht mehr gegeben hat, nach den Städten, nach den Landschaften, nach den Menschen. Sieben Jahre und vier Monate habe ich mich gesehnt und war sozusagen in den Startlöchern für die Rückkehr.

Ich war so glücklich, als es Österreich wieder gegeben hatte. Aber dieses Österreich von heute darf es nicht geben. Die Städte, die Landschaft, die Menschen, ja, die schon, aber nicht die derzeitigen Politiker.

Ich war so glücklich in der Welt der Sozialpartner, in der Konsens-Welt, in der Gesprächswelt, ich war glücklich mit den drei Parteien (ja, drei!). Gegen alle hatte und habe ich gelegentlich allerlei, sie hatten und haben gelegentlich allerlei gegen mich, na ja, das ist eben Demokratie.

Und die Skandale sind es nicht, das meine ich nicht, das gehört leider dazu.

Skandale gibt es auch in der Bundesrepublik Deutschland, in England, in Frankreich, in Italien und im Osten gewiß auch, nur daß dort kein „profü“ und kein „Spiegel“ sie aufdeckt.

Nein, es sind nicht die Begebenheiten. Es ist der Ton. Es ist der Haß. Es ist die Tonart. Das darf nicht Ö-Dur sein!

Jeder setzt die Gegenseite als böse und dumm voraus. Es ist diese gewisse dumme Ironie, die an den Hitler-Reden so schrecklich war. Wenn er sagte „Herr Churchill“, war's schon ein Witz. Unsere derzeitigen Witze sind nicht viel besser.

Im Parlament zu London streiten sie auch, aber dort titulieren Gegner einander als „sehr ehrenwerter Herr Abgeordneter“. Bei einem Parteitag in Israel haben sie einander vorige Woche geprügelt. Wohin geht unser Weg?

In diesen Tagen habe ich drei Gratulationsbriefe geschrieben. An den lieben Richard Eybner, an den verehrungswürdigen Ernst Koref und an meinen Freund Christian Broda. In was für eine Heimat schauen diese drei an ihren Ehrentagen? Sie alle drei sind „Österreicher zum Herzeigen“.

Ihr aber, schämt Ihr Euch nicht?

Unser verehrter Herr Bundespräsident hat es Euch hineingesagt, und klugerweise hat er seine Rede auch noch im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes gehalten.

Ich empfehle einen Lehrausflug für Politiker in diese Sammlungen. Dann müßte Euch zu Bewußtsein kommen, was wir haben und wofür wir dankbar zu sein hätten, was uns in jedem Augenblick bewußt sein muß!

Wer Sinn für das Maß hat, müßte sich mit Gleichartigen zusammentun und in das Parlament eindringen und dort im Sprechchor nichts rufen als „Jägerstätter!“. Man sollte jede Sitzung jeder gesetzgebenden Körperschaft in Österreich mit der Anrufung Jä-gerstätters beginnen.

Ihr kommt mir vor wie gewisse Schullehrer, die mit schneidender Ironie ihre Schüler apostrophieren, wie entartete Eltern, wie zerstrittene Ehepaare. Auch Wachleute und militärische Vorgesetzte können so sein, wenn sie an ihrem Gegenüber die eigene Macht ausleben wollen.

So hört doch endlich auf!

Neulich waren einige kluge Österreicher mit klugen ausländischen Gästen abends zusammen. Und man hörte die Abendnachrichten. Und da schämten sich die klugen Österreicher vor den klugen ausländischen Gästen.

Immer wieder kommt mir in diesen Tagen der Refrain eines Lieds von Jura Soyfer ins Gedächtnis:

„Ihr nennt uns Menschen? Wartet noch damit!“

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