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Sternsinger in Neuguinea

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Die landwirtschaftliche Versuchsstation Kondopina, an deren Forschungsprogramm ich für ein Gastsemester beteiligt bin, liegt inmitten einer ausgedehnten Hochebene, die noch vor wenigen Jahren den Charakter einer unwirtlichen Sumpflandschaft trug.

Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das einem bei näherem Hinsehen auf Schritt und Tritt begegnet, überschattet auch meine Untersuchungen unter den Bewohnern all der modernen Dschun-gel-Slums. an deren Los sich in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht allzuviel ändern dürfte.

Oder etwa doch? Die Feiertage zwischen Weihnachten und Neujahr, die einzige Urlaubszeit, die diese Leute kennen, sind gerade erst vorüber, als ich auf meinem nächsten sonntägigen Ritt in Begleitung von „Nick" Walebi - eines unserer papuanischen Cowboys - eine Begegnung mit einem höchst eigenartigen Aufzug habe.

Umringt von einer fröhlich lärmenden Menschenmenge kommen da drei abenteuerlich in bunte Tücher gewandete Gestalten einhergeschritten, die mit ihren —

offensichtlich mittels Gold- und Silberpapier von Zigarettenpak-kungen — aufgeputzten Federkronen und den weißgeschminkten bärtigen Gesichtern fast wie Besucher von einem anderen Stern wirken. Im Gefolge des so kostümierten Trios, werden rasselnde Blechkanister voller Nickelmünzen und pfauenradgroße, dicht mit Papiergeldscheinen bespickte Fächer an langen Stielen geschwungen.

Während wir das farbenprächtige Spektakel mustern, beginnt es sowohl Walebi als auch mir zu dämmern, daß wir hier vielleicht eine neue Abart jener im gesamten Südseeraum allenthalben aufflackernden Massenhysterie vor uns haben, die als „Cargo-Kult" bezeichnet wird.

Die treibenden Kräfte hinter diesen Aktivitäten pflegen nämlich alle paar Jahre den bevorstehenden Anbruch eines irdischen

Paradies-Zeitalters zu verkünden, wobei die dunkelhäutigen Ureinwohner mit Hilfe ihrer aus dem Totenreich herbeigerufenen Ahnengeister den mächtigen Industrienationen ihre derzeitige globale Herrschaft endgültig zu entreißen hoffen.

Gespannt auf die Dinge, die noch kommen sollen, schließen wir uns der Prozession dieser seltsamen Sternsinger an, die nach jeder Wegbiegung größer zu werden scheint. Als wir uns der schäbigen Wellblechsiedlung des offiziellen Verwaltungssitzes des umliegenden, noch keineswegs restlos erschlossenen Neulandgebietes nähern, kommt der Zug ins Stocken. Schwitzend und schwatzend gruppiert sich das Gewühl um ein mit eingerammten Pfosten und üppigen Farnwedel- und Blütengirlanden gekennzeichnetes Viereck, worin etliche Dosenbier-Kisten aufeinandergetürmt sind.

Schon besteigt unter stürmischen Zurufen ein barfüßiger Redner nach dem anderen aus den Reihen der anerkannten Arbeiterführer und Stammesgruppen-Oberhäupter dieses behelfsmäßige Podium, und so erfahren wir endlich zur größten Überraschung, was hier eigentlich vorgeht. Wir werden nämlich Zeugen der Grundsteinlegung zu einer von der ringsum ansäßig gewordenen Bevölkerung selbst geplanten Mehrzweck-Versammlungshalle, die nach allgemein zu vernehmender Ansicht möglichst bald für die Evangeliumsverkündigung, für Gottesdienste, und schließlich vor allem als provisorisches Schulgebäude für die ständig zunehmende Schar des staunend herbeidrängenden Papua-Nachwuchses zum Tragen kommen soll.

Damit dies alles nicht nur ein frommer Wunsch bleiben soll, werden als Höhepunkt der feierlichen Handlung unter den wachsamen Augen eines eigens hinzugeladenen Regierungskommissars alle Spenden gleich an Ort und Stelle auf Heller und Pfennig gezählt Spätestens jetzt sind alle Anwesenden einig , daß hier ein großartiges Vorhaben die erste entscheidende Hürde glücklich überstanden hat.

Der Autor ist Ethnologe in Stuttgart

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