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Taschenbücher -bibliophil

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Vor einem Vierteljahrhundert wurde die billigste, platzsparendste und damit demokratischeste Methode der Massenverbreitung des geschriebenen Wortes seit der Erfindung des Buchdrucks, ja der Schrift überhaupt, erfunden: das Taschenbuch. Zunächst als Notbehelf nasenrümpfend hingenommen, später eine allgegenwärtige Selbstverständlichkeit, meldet es seit neuestem den Anspruch an, auch von Bibliophilen zur Kenntnis genommen zu werden. Eine steigende Zahl von Taschenbuchausgaben verbindet hohe ästhetische Qualität mit niedrigem Preis und äußerster Kompaktheit. Da letztere erhöhten Gebrauchswert bei vermindertem Platzbedarf bedeutet, erweisen sich Tasch&nbuchausgaben für heute, die nicht lediglich stolze Besitzer, sondern Benutzer eines Werkes sein wollen, häufig auch unabhängig vom Preisvorteil als günstiger.

Kaum zwei Jahre nach der Originaledition bei Rogner & Bernhard erschien bei dtv die Taschenbuchausgabe der von Hans Volz unter Mitarbeit von Heinz Blanke und Friedrich Kur neu herausgegebenen und gründlichst kommentierten, durch einen umfangreichen Apparat (einschließlich Verzeichnis nicht mehr gebräuchlicher Worte) erschlossenen Lutherbibel von 1545:. „Biblia. Das ist: Die gantze Heilige Schrifft Deudsch auffs new zugericht.“ Insgesamt 2914 Seiten in drei Bänden für 41.40 DM (dtv 6031—6033).

Eine echte Faksimileausgabe wäre vielleicht noch schöner, aber kaum brauchbar, weil sehr viel schwerer zu lesen. Daher wurde der gesamte Text unter Beibehaltung der originalen Schreibweise (die sich so als sehr glatt lesbar erweist) in moderner Antiqua neu gesetzt. Die dtv-Ausgabe enthält alle Abbildungen und Titelblätter der postum erschienenen Ausgabe von 1546, aber auch noch alle von Luther im Spätherbst 1544 vorgenommenen Übersetzungskorrekturen.

Wie für die Lutherbibel von dtv gilt auch für die Goethe-Ausgaben des Insel-Taschenbuchverlages, daß niemand mehr, der sie in der Hand hatte, dem Taschenbuch die Möglichkeit bibliophiler Qualität bestreiten wird. Faust, Zweiter Teil (Insel-Taschenbuch 100, 496 Seiten, 9 DM), ist, weil mit dem kompletten Illustrationszyklus von Max Beckmann ausgestattet, eine verlegerische Tat ersten Ranges. Als „Entarteter“ von Hitler verfemt, auf der Reise in die USA 1940 von den deutschen Armeen in Amsterdam überrollt, bezog er auf einem Tiefpunkt seines Lebens aus dem Auftrag des deutschen Schriftgießers und begeisterten Büchermachers Georg Hartmann, mitten im Krieg für die Publikation nach dem Krieg und nach Hitler einen Zyklus von Illustrationen anzufertigen, Kraft und Hoffnung. Die 143 Blätter entstanden von April 1943 bis Februar 1944. Monate, in denen in Beckmanns Tagebüchern neben Eintragungen wie „Ungeheures Getöse, alles brennt“ oder „seit langem wieder an der Amstel, durch leere Judenstraßen“ Bemerkungen stehen wie „Faust, zu den Müttern zweite Fassung. Ekel und Trauer über die Welt.“ Einer der bedeutendsten deutschen Maler illustrierte 1944 inmitten von Mord und Zerstörung eine der größten deutschen Dichtungen: gerade die Anspruchslosigkeit der Taschenbuchausgabe erleichtert, nicht nur materiell, den geistigen Zugang.

Aber auch die dreibändige Neuausgabe von „Dichtung und Wahrheit' (Insel-Taschenbuch 149 bis 151, 948 Seiten, zahlreiche zeitgenössische Illustrationen, DM 18,—) hat nicht nur den Originaltext nebst Anmerkungsapparat und Register, sondern sinnliche Qualität. Jörn Göres, der Direktor des Düsseldorfer Goethe-Museums, wählte an die 80 zeitgenössische Illustrationen aus, Landschaftsbilder, Stadtansichten, vor allem aber Porträts der Personen, die Goethes Weg kreuzten, wodurch eine sehr erhebliche Intensivierung der Lektüre erreicht wird. Mit der gegebenen Illustrierung handelt es sich um eine Ausgabe von hohem bibliophilem Reiz für den Gegenwert einer Theaterkarte.

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