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Theatereröflhung mit Genet

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Einst wurden die Theater Kinos. Nun wurde ein eingegangenes Kino in Wiens Porzellangasse „Schauspielhaus“, und eine weitere Theater-Kino-Theater-Rückverwandlung ist im Gespräch. Das für Hans Gratzerim ehemaligen Heimatkino eingerichtete Theater ist alles andere als eine Kellerbühne, obwohl man über Stiegen hinunter muß. Es ist räumlich wie personell, vor allem aber den Ambitionen und dem Paukenschlag-Start nach ein sogenanntes mittleres Theater. (Sieben Premieren in wenigen Wochen, drei davon an einem einzigen Abend, drei deutschsprachige und zwei österreichische Erstaufführungen, eine Uraufführung!) Der Spielplan bringt nicht nur Neues - manches davon verspricht Provokation, wird anecken. Hoffentlich. Bei der Eröffnung gab sich die Kulturprominenz Stelldichein, von Sinowatz bis Molden, von Benning bis Heller. Glühbirnen säumen den Balkon (den des Theaters, nicht den vpn Genet) und verbreiten einen Hauch von Variete. Manches wirkt improvisiert, selbstgemacht. Der Saal präsentierte sich mit Zentralbühne und Sitzblöcken an allen vier Seiten - es heißt aber, daß man auch ein Guckkastentheater draus machen kann. Demnach wäre nichts festgelegt, alles offen — räumlich, intellektuell und überhaupt. Hoffen wir also auf viele Anlässe für Auseinandersetzungen von der produktiven Sorte. H. B.

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Einst wurden die Theater Kinos. Nun wurde ein eingegangenes Kino in Wiens Porzellangasse „Schauspielhaus“, und eine weitere Theater-Kino-Theater-Rückverwandlung ist im Gespräch. Das für Hans Gratzerim ehemaligen Heimatkino eingerichtete Theater ist alles andere als eine Kellerbühne, obwohl man über Stiegen hinunter muß. Es ist räumlich wie personell, vor allem aber den Ambitionen und dem Paukenschlag-Start nach ein sogenanntes mittleres Theater. (Sieben Premieren in wenigen Wochen, drei davon an einem einzigen Abend, drei deutschsprachige und zwei österreichische Erstaufführungen, eine Uraufführung!) Der Spielplan bringt nicht nur Neues - manches davon verspricht Provokation, wird anecken. Hoffentlich. Bei der Eröffnung gab sich die Kulturprominenz Stelldichein, von Sinowatz bis Molden, von Benning bis Heller. Glühbirnen säumen den Balkon (den des Theaters, nicht den vpn Genet) und verbreiten einen Hauch von Variete. Manches wirkt improvisiert, selbstgemacht. Der Saal präsentierte sich mit Zentralbühne und Sitzblöcken an allen vier Seiten - es heißt aber, daß man auch ein Guckkastentheater draus machen kann. Demnach wäre nichts festgelegt, alles offen — räumlich, intellektuell und überhaupt. Hoffen wir also auf viele Anlässe für Auseinandersetzungen von der produktiven Sorte. H. B.

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Wir wissen, wieviel Unheil die ungeheuren Machtballungen in unserem Jahrhundert über die Menschen gebracht haben. Es kann sein, daß da einer aus der Ohnmacht des Einzelnen heraus seinen Hohn dawider setzt. Ist er ein Dichter, entsteht eine bittere, eine sehr bittere Farce. Das ist so recht das als Schauspiel bezeichnete, 22 Jahre alte Stück „Der Balkon“ von Jean Genet, das in Gratzers neuem Schauspielhaus als Eröffnungspre-miere geboten wurde.

Da wird das Bühnengeschehen, als Gesamtes genommen, zu einem Symbol von ätzender Schärfe, das postuliert, daß die irdische Macht die uns in ihren Ballungen heute so bedroht, zuinnerst auf Fiktionen beruht. Das Symbol, das Genet hiefür wählt, kann

ihm nicht giftig genug sein: Psychopathen spielen in einem Bordell, einem „Haus der Illusionen“, Bischof, Richter, General - die drei Stützen der Gesellschaft-, und zwar nicht einfach nur aus Sehnsucht nach dem verlockenden Schein, nach ülusionierung, sondern weil sie erst so den Zweck ihres Besuches zu erfüllen vermögen.

Dieses vielfach verschlüsselte Stück läßt sich sehr leicht mißverstehen. Die armseligen Nichtse, die der Illusion bedürfen, Bischof, Richter, General zu sein, sind Sinnbilder einer Macht, die auf Fiktion beruht. Es geht gar nicht um Sexuelles, das Sexuelle wird nur zum Mittel, zum Symbol für die Macht. Es handelt sich hier auch keineswegs um einen Angriff gegen die Kirche, die Justiz, das Militär, sondern um eine

Relativierung der weltlichen Macht an sich, soweit weltliche Macht von diesen Instutionen ausgeübt wird. Bezeichnend: Das Bordell befindet sich im Bereich revolutionärer Machtkämpfe, wobei sich die falschen Repräsentanten der Macht im Verlauf der Begebnisse gezwungen sehen, die rechten Repräsentanten zu spielen, ja, zu ersetzen. Die echten erweisen sich durch die falschen als austauschbar.

Solch ein vielschichtiges, sich-in Illusionen gleichsam selbst noch spiegelndes Werk ist schwierig wiederzugeben. Das Bühnenbild der Pariser Aufführung seinerzeit im „Gymnase“ täuschte riesenhafte Spiegel vor, durch die man aber hindurchgehen konnte, das „Haus der Illusionen“ wurde so optisches Ereignis. Im Volkstheater hatten vor 17 Jahren überdimensionierte Paravents assoziative Bedeutung. In der Aufführung im Schauspielhaus ist die rechteckige, etwas erhöhte Bühne auf allen vier Sei-

ten von ansteigenden Zuschauertribünen umschlossen.

Da überdies die Kostüme nicht - wie etwa einst im Volkstheater - auftrumpfen (Ausstattung: Monika Hasse), ist unter der Regie des Theaterleiters Hans Gratzer alles aufs Wort gestellt. Nur werden die Darsteller lernen müssen, auch in diesem Haus den ganzen Text verständlich zu sprechen.

Dem Sinngehalt nach wären die Bordellszenen des Anfangs wohl besser weniger umfänglich auszuspielen, dagegen ist der Einblick in den Revolutionsbereich zu scharf gekürzt. Die Bedeutung der Dirne Chantal für die Vorgänge kommt zu wenig heraus. Julia Gschnitzer ist eine beeindruckende Bordellchefin, Roger Murbach hat als Polizeipräsident geballte Energie. Toni Böhm, Manfred Schmid und Benno Felling blähen sich als Bischof, Richter, General in ihrer Nichtigkeit Catarina Felixmüller, Susanne Widl, Vicky Weinmann sind anfangs ihre Partnerinnen. Als Bevorzugte der Chefin bleibt Gertrud Roll verhalten, Michael A. Schottenberg ist ein kühl sich gehabender Gesandter. Von Patricia Jünger stammt die etwas dröhnende interessante Bühnenmusik.

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