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Toren der Zweiten Republik

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Das ist ein dickes Buch und ein viel­schichtiges dazu, eines, das man sozu­sagen von verschiedenen Seiten her le­sen kann:

… als eine Fortsetzung der stattli­chen Austrosimplicissimus-Saga, de­ren erstes Buch „Fepolinski und Wasch- lapski“ hieß und der eines Tages jener literarische Rang zuerkannt werden wird, den jetzt hauptsächlich greisen­haft-weinerlich Jung-Autobiographen so leichthin davontragen.

… oder als eine sehr lehrreiche, weil von einem höchst kompetenten In­sider verfaßte Historie des Großen Wiener Zeitungskrieges von 1956-1958 mit seinen bizarren Verflechtungen von (manchmal unfairer) journalistischer Konkurrenz und (meist brutalem) poli­

tischen Einfluß - ich gestehe: nach der Lektüre dieses Kapitels ist der letzte Rest dessen geschwunden, was ich jahr­zehntelang nie ganz los geworden bin, nämlich des Ärgers darüber, daß dieser begabte, integre und doch mit gesun­dem Machtinstinkt ausgestattete Me­dienmann Molden damals die Zei­tungs-Szene verließ; ein anderer an sei­ner Stelle hätte es wahrscheinlich schon viel früher getan;

… man kann diesen Wälzer jedoch auch zum Zwecke des patriotischen Lustgewinns lesen; da gibt’s authenti­sche Schilderungen von ein paar histo­rischen Episoden wie der Vorgänge während des kommunistischen „Welt­jugendfestivals“ von 1959, oder vorher schon während der Ungarn-Revolte

von 1956, in denen die Österreicher eben das zeigten,'was sie sich selber ge­wöhnlich nicht zurechnen, nämlich kol­lektive und nationale Charakterfestig­keit; hat eigentlich - in Österreich - au­ßer Molden - je einer diese Pluspunkte der Zweiten Republik notiert?

… den Volkspartei-Politikern hin­gegen sollte die Lektüre der Kapitel über Julius Raab zur Pflicht gemacht werden: denn dort können sie, in der Tat aus erster Hand, die Lösung des Rätsels erfahren, warum nach 1945 ganze Regimenter des Wiener Bürger­tums nicht dorthin zogen, wo sie der Logik nach hingehört hätten, nämlich in das bürgerliche Lager, sondern sich lieber teils in die freilich bequeme Äqui- distanz der Blutgruppe Null begaben, zum nicht geringeren Teil aber gleich in der Kreisky-Aura niederlie­ßen; die Sozialisten freilich könnten nachlesen, warum diese Anziehungs­kraft neuestens so nachläßt (aber sie würden sich weigern, es zu begreifen, denke ich).

Die interessanteste Dimension dieses Buches findet sich in der Schilderung der kleinen Tragödie der Jahrgänge zwischen 1920 und 1924, jener „To- ren“-Generation also, die ehrlich glaubte, sie könnte nach 1945 etwas

ganz Neues beginnen, und die sich dann von den „Biedermännern“, den von der Vorkriegsgeschichte und -politik geprägten Alten, ganz plötzlich ausge­trickst sah. Aber, so schließt Molden in heiterer Resignation: ... „auf der .In­sel der Seligen’ braucht man keine To­ren - Technokraten der Macht reichen völlig aus. Aber vielleicht, irgendein- mal, wenn die Luft wieder kälter wird und Konflikte statt in Afghanistan wie­der in Mitteleuropa ausgetragen wer­den, dann könnten Toren wieder ge­fragt sein. Wer weiß?“

Persönliches Postscriptum des Re­zensenten an den Autor: In den zwei Monaten seit Erscheinen Deines Bu­ches, lieber Fritz Molden, ist die Luft schon einigermaßen kälter geworden. - Danke schön, daß Du mich in der Wid­mung in meinem Exemplar Deines Bu­ches auch einen „Toren“ nennst; ich weiß das zu schätzen. - Schreibe bitte weiter - die Biedermänner sind recht schweigsam geworden in letzter Zeit, die Technokraten (die nicht ..ausrei­chen“) haben sowieso nichts zu sagen, unter uns Toren aber gibt’s noch eine Menge zu erzählen.

BESETZER, TOREN, BIEDERMÄNNER. Ein Bericht aus Österreich 1945-1962. Von Fritz Mol­den, Verlag Fritz Molden, Wien, 1980,423 Seiten, öS 270.-

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