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Triumph mit Mandarin

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Während das Klagenfurter Stadttheater das gesprochene Wort an den Rand verbannt hat und das Sprechstück nicht einmal „links“ liegen läßt, wie es heute mit engagierten Stücken der Fall ist, hat es für den Klang eine offene Hand und ein ebensolches Herz: man dient der Musik in erster Linie und läßt sie hoch leben. So mit einer ganz ausgezeichneten Neuinszenierung der Strauß-Operette „Wiener Blut“ durch Herbert Wochinz, die allerdings in erster Linie durch Helmuth Wallner (sein Kammerdiener Josef sah sich auf Nestroy-Ebene gehoben) zum Ereignis wurde, und nun mit einem Ballettabend, dem rumänische Gäste und ihr Choreograph Oleg Danovski den Qualitätsstempel aufdrückten: Cluj stützte und unterstützte Klagenfurt, das zunächst mit einer sehr gepflegten tänzerischen Auslegung von Georges Bizets „Symphonie in C“ (Choreographie Paul Bierde) die Anhänger überlieferter Anmut begeistern konnte und mit seinem rumänischtschechischen Ballettensemble den Beweis eines einfallsreichen und auf Präzision gestellten Ablaufs von Pirouetten, graziösen Schritten, Sprüngen und Hebefiguren lieferte. Die musikalische Leitung Istvan Ben-koczys und das fein abgestimmte Bild geraffter Vorhänge in Schwarz und Rot von Matthias Kralj waren Geleit und Hintergrund.

Dann aber wurde mit dem Ballett

„Der wunderbare Mandarin“ von Bela Bariök das Publikum in eine Stimmung der Mitgerissenheit gebracht, die sich in 10 Minuten Applaus löste. Von Oleg Danovski choreographisch aufgebaut, ersonnen und — man möchte fast sagen, auf den Zentimeter — errechnet, öffnete sich eine Welt am Rande der Großstadt, in der Straßenmädchen und Ganoven gedeihen und ihr Geschäft bis zum Mord hin führen. Die Opfer verschwinden, die der Lockvogel herangebracht, unter einer Falltür auf Nimmerwiedersehen und nur der „wunderbare Mandarin“, den man als gute Beute sicher zu haben vermeinte, überlebt immer wieder — Faustschläge, Messerstiche und sogar das Henken können ihm nichts anhaben, bis dann die mitleidige Umarmung des geläuterten Mädchens den Wunsch erfüllt: der Mandarin stirbt. Diese Handlung, effektvoll gesteigert und bis ins Unheimliche transponiert, untermalt Bartöks Musik (von Tonband oder Schallplatte) in ihren Rhythmen, gewollten Dissonanzen und einprägsamen Klangeffekten, den Ausführenden Signal und Befehl für eine unheimlich lebendige, ja ans Akrobatische grenzende Realisierung. Erotik erscheint prägnant angedeutet ohne je ins Obszöne abzusacken, Angst und Gefühl haben ihren Raum in dieser tänzerischen Erlösung, die aus der hohen Kunst erwächst: Cristina Hornel als Mädchen, Petre Ciortea als ausdrucksstarker, die Aufgabe schon vom Physischen her grandios meisternder Mandarin haben in den Ganoven Adrian, Farkas und Turcu ihre ebenbürtigen Partner, zu denen in Episoden Fmilian Bartes (alter Kavalier) und Radu Ciuca (Student) hinzutreten.

Genial das Bühnenbild von Matthias Kralj, der alle Schatten der Großstadt neben ihr in der Feme wirkendes Lichterspiel stellt und etwas von jenen Tiefen ahnen macht, in die der Mensch zu sinken vermag. Nach diesem Glanzpunkt des Ballettabends mußten die „Polo-wetzer Tänze“ bei aller Ambition und Sprunggelenkigkeit der Männer schon deswegen untergehen, weil's hier „die Masse“ machen müßte und sechs Krieger einfach zuwenig sind. Da muß alle Wildheit ins Naive abfallen. Dennoch — ein Abend, der dem Publikum im Gedächtnis haften bleiben wird.

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