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Trivialität, als Literatur getarnt

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Der Buchmarkt wird mit Erzeugnissen überschwemmt, die Trivialität und Banalität unter dem Deckmantel gesellschaftskritischer Ansprüche verkaufen, Niveau vorspiegeln, wo keines ist, und leider eine Menge von Lesern finden. Man darf sie keinesfalls mit den meisterhaft geschriebenen und dabei spannenden und unterhaltenden Werken ebenfalls meist angelsächsischer Autoren verwechseln, die, beispielsweise, aus dem Agentenroman eine anspruchsvolle literarische Gattung gemacht haben, etwa LeCarrė oder Ambier. Schulbeispiel für den Reißer im negativen Sinne, der vorspiegelt, was er nicht ist, verspricht, was er nicht hält: „Dollarfiesta” von Fletcher Knebel.

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Der Buchmarkt wird mit Erzeugnissen überschwemmt, die Trivialität und Banalität unter dem Deckmantel gesellschaftskritischer Ansprüche verkaufen, Niveau vorspiegeln, wo keines ist, und leider eine Menge von Lesern finden. Man darf sie keinesfalls mit den meisterhaft geschriebenen und dabei spannenden und unterhaltenden Werken ebenfalls meist angelsächsischer Autoren verwechseln, die, beispielsweise, aus dem Agentenroman eine anspruchsvolle literarische Gattung gemacht haben, etwa LeCarrė oder Ambier. Schulbeispiel für den Reißer im negativen Sinne, der vorspiegelt, was er nicht ist, verspricht, was er nicht hält: „Dollarfiesta” von Fletcher Knebel.

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Die „Dollarfiesta”-Story ist einfach, erweckt aber den Anschein, als würden hier mit literarischer Meister-’ Schaft verschiedene Handlungsfaden kunstvoll miteinander verwoben. Der Autor spiegelt Dichte und Intellektua- lät vor. Bei näherem Zusehen entpuppen sich solche „Edeltrivialromane” jedoch als simple, nach demselben Schema fabrizierte Fließbandprodukte. So auch die „Dollarfiesta”. Der Roman spielt - man möchte fast sagen natürlich in gehobenen Gesellschaftsschichten. Unter Fabrikanten, Millionären.

Der mit liberalen Ideen sympathisierende Fabriksdirektor Jim McGowan begibt sich, wie jedes Vierteljahr, zur Hauptversammlung seines Konzerns, wo er über den Geschäftsgang seiner Firma berichten soll. Jim hat diesmal ein schlechtes Gewissen. Er hat in seiner Firma einen Psychologen angestellt, der ein neues Produktionssystem eingeführt hat, das den Arbeitern mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung gewährt. Man arbeitet in Gruppen und nicht mehr am eintönigen Fließband. Die Einführung scheint sich zu bewähren, doch bedingt durch die Umstellungskosten und andere Investitionen ist die Gewinnrate diesmal sehr klein. Wie soll Jim das seinem Konzernchef erklären? Der Konzern ist übrigens der größte in Amerika. Fletcher Knebel kennt nur Superlative.

Dafür läßt er die geringste Ahnung von Management-Realität vermissen. Als könnte ein Psychologe ein neues Produktionssystem einführen. Als könnte irgendein Fabriksdirektor auf der großen weiten Welt Fließbänder durch Arbeitsgruppen ersetzen (wie es bei Volvo geschah), ohne daß eine solche Entscheidung auf höchster Konzernebene getroffen wurde. Noch dazu sind seltsame Dinge im Anmarsch. Ein Agent der CIA soll sich in den Konzern eingeschlichen (!) haben, um ein bestimmtes Geschäftsprojekt voranzutreiben (!), das bei Wissenschaftlern und Umweltschützern massive Proteste auslöste.

Auch Jim und einige seiner Direktorenkollegen stehen dem Projekt skeptisch gegenüber. Verschiedene Intrigen werden durchgespielt - hier entwickelt der Autor eine wahre Meisterschaft -, einige Direktoren wagen es, gegen den Chef aufzutreten, Jim wird gar von der CIA entführt, aber von treuen Freunden gerettet. Der CIA- Agent wird entlarvt, das Projekt vorläufig aufgeschoben, Jim setzt die Verbesserungen in seiner Fabrik durch, will sich aber von seinem Posten zurückziehen. Doch das ist nur ein Handlungsstrang; der sozialpolitische gewissermaßen.

Natürlich gibt es auch einen privaten. Jim hat Schwierigkeiten mit seiner Frau. Er hat keine Zeit für Frau und Kinder, da ihn seine Arbeit voll in Anspruch, nimmt. Er hat sich „seiner Frau entfremdet”. Doch wieder tritt der Psychologe auf den Plan und initiiert eine Partnertherapie. Psychologie als Wunderwaffe. Das Wunder tritt auch ein. Die beiden Ehepartner beginnen einander wieder zu lieben, fallen einander glückstrahlend in die Arme. Was wül man mehr, noch dazu, wo sich diese überraschende Wandlung in 36 Stunden vollzog. Alles ist wieder gut, die Welt, die Ehe, die Fabrik. Sozialkitsch, wohin man liest.

Der Autor hat Sympathie mit allen. Mit den Wissenschaftlern, den Umweltschützern, den Psychologen, den Arbeitern, die in der „glücklichsten Fabrik Amerikas” arbeiten dürfen, Sympathie mit den frustrierten Ehefrauen und den geplagten Fabriksdirektoren; am Ende soll Jim auch noch Vizepräsidentschaftskandidat eines demokratischen Senators (!) werden.

Alle guten Menschen sind glücklich, haben sich wieder einmal gegen das Schlechte auf der Welt durchgesetzt, Jims Freund wird zum erfolgreichsten Fabrikdirektor Amerikas gewählt, der Konzerndirektor entpuppt sich als guter Mensch mit rauher Schale. Aber auch bei ihm wird der gute Kern schon noch durchbrechen. Der einzige wirkliche Bösewicht ist der CIA-Agent, er wird auch bestraft und geächtet. Was lange noch nicht heißt, daß die CIA eine zwielichtige Organisation ist. So weit darf man nun doch nicht gehen. Hauptsache, die Welt ist wieder im Lot, alle können einander in die Arme fallen, wir sind noch einmal davongekommen.

Natürlich liefert der Verfasser Beschreibungen von mondänen Partys, glänzenden Hotels und selbstverständlich Beischlafszenen, die in Frustration münden. Auf Kleidung und modische Elegance scheint er es besonders abgesehen zu haben, die Schilderungen der diversen Anzüge und Abendkleider nehmen jedenfalls großen Raum ein.

Stünden nur Naivität und guter Wille hinter dem Werk, könnte man den Autor bedauern. Doch dieses Buch ist, wie so viele Edeltrivialromane, raffiniert konstruierter, ausgefeilter, bis ins letzte Detail auf Konsum abgestimmter Kitsch. Man mischt ein wenig Kritik, halbherzige Pseudoanklage und halbherziges soziales Engagement mit viel Schwulst und drückt kräftig auf die ideologische Tränendrüse. Mit Vorliebe wird die „höhere Gesellschaft” porträtiert, um einerseits dem Leser Kompensationsmöglichkeiten zu geben und anderseits zu zeigen, daß es auch unter den Reichen gute und edle Menschen gibt, nicht nur bei den armen Teufeln. Dahinter versteckt floriert eine gigantische Konsum- und Verdummungsindustrie. Solange der Leser darin bestärkt wird, daß ohnehin alles in Ordnung ist, wird auch alles in seiner Scheinordnung bleiben.

Als Alibi werden von allen virulenten Problemen Kostproben verarbeitet. Damit zeigt der Autor, daß die Probleme gar nicht so schwerwiegend sind, wie die Massenmedien behaupten, und außerdem spielend leicht zu lösen. Nachdenken verhindert man mit dieser Taktik. Doch Denken soll ohnehin schädlich sein. Drum jagt eine Aktion die andere, überstürzen sich die Ereignisse, man kommt kaum zum

Atmen im Trubel der Zufälle und geplanten Aktionen. Man liest einfach weiter, konsumiert auch die krassesten Unwahrscheinlichkeiten und logischen Fehler.

Kalkulierter Zufall und Schwarzweißmalerei sind das Gestaltungsprinzip solcher Werke, allerdings tendieren ihre Produzenten eher zur Weißmalerei. Das Schwarze ist meist auf eine Person gehäuft, nicht etwa auf eine Gruppe oder Institution. Institutionen sind von Natur aus gut. Schuldig ist nur der einzelne. Ein Sündenbock macht eher aus allen anderen brave weiße Herdenlämmer. So wird eine Realität vorgespiegelt, die es nicht gibt, nie geben wird. Das Raffinierte und Ideologische an diesen Romanen jedoch ist, daß sie willkürlich Segmente der Wirklichkeit herausreißen und zu einem neuen Zusammenhang zusammenbasteln, in dem sich Pseudoharmonie und Pseudoglück manifestieren. Jeder Leser soll sich mit einem Teil dieser zusammengestoppelten Wirklichkeit identifizieren können. Den Rest schluckt er dann bereitwillig. Das nennt sich dann „Realitätsnähe”.

Der Leser soll wohl zu dem Schluß kommen: Eigentlich gibt es nur Gerechtigkeit und Glück. Mit den wenigen Bösewichten werden wir schon fertig. Die werden wir schon ausmerzen. Hoffentlich fällt nicht jeder Leser auf diese Ideologie herein. Fletcher Knebel & Co. werden schon wissen, warum sie solche Bücher schreiben. Auch sie sind Agenten - der Dummheit nämlich.

DOLLARFIESTA, von Fletcher Knebel, Schweizer Verlagshaus, Zürich 1976, 480 Seiten, öS 261,80.

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