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Trubel von Routine und Veranstaltungen

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Ursprünglich sollte der Autor über die diesjährige „Stei-rische Akademie“ berichten. Anstelle dessen sandte er uns eine lesenswerte zeitkritische Studie: die Schilderung des Alltags eines Hochschulprofessors ...

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Ursprünglich sollte der Autor über die diesjährige „Stei-rische Akademie“ berichten. Anstelle dessen sandte er uns eine lesenswerte zeitkritische Studie: die Schilderung des Alltags eines Hochschulprofessors ...

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Mein Tag ist ein Teil der Natur, über deren Gefährdung und Erhaltung in dieser Akademie gesprochen wurde. Wenn ich um acht Uhr morgens am Weg zur täglichen Vorlesung mit dem Fahrrad — wir haben ja herrliches Herbstwetter — die stehende und stinkende Autokolonne überhole, wird mir täglich bewußt, wie nutzlos Warnungen und Vorträge sind.

Meine Vorlesung findet in einem Hörsaal statt, der keine Fenster hat und dessen Aircondition mir den Schweiß auf die Stirne treibt. Nach der Vorlesung versuche ich vergeblich, mit dem Stoß Post fertig zu werden, der aus Mitteilungen des Ministeriums, der Universitätsdirektion, des Dekanates als Grundstock und darüber aus diversen Drucksachen, Reklamen, Einladungen zu Sitzungen und zu begutachtenden Gesetzesentwürfen etc. besteht.

Ich denke an Alois Brandstet-ters Buch „Zu Lasten der Briefträger“, das Anregungen zur weiteren Behandlung derartiger Postsendungen enthält.

Bevor ich mir voll bewußt machen kann, wieviel Bäume zur Produktion all jenes Papieres verarbeitet wurden, das heute in dieser Universität in Papierkörben oder Ablagen landet, werde ich von den trivialen Verpflichtungen des Tages von diesen tiefen Gedanken abgelenkt.

Dies sind meine weiteren Tätigkeiten als Institutsvorstand: Te-lephonate, Auskünfte, Unterschriften unter Papiere, deren Inhalt nur ein flüchtiger Blick erfaßt hat: Sprechstunde für Studenten, Gespräche mit Mitarbeitern.

Um zehn Uhr - Zeitpunkt der Eröffnung der Steirischen Akademie - kommt noch ein dringender und komplizierter Fall in die Sprechstunde: eine Studentin, den Tränen nahe, die unter Hinweis auf unklare Vorschriften von Stelle zu Stelle zwischen Wien und Graz hin- und hergeschickt worden war und schließlich bei mir als dem Vorsitzenden der hiesigen Studienkommission landet.

Ein Versuch, zwischen diesem langen Gespräch und einem dringenden Telephonat kurz einiges von der Akademie im Parterre des Hauses aufzuschnappen, macht mir klar, daß der Hauptvortragende Professor Erwin Chargaff wegen Erkrankung nicht nach Graz kommen konnte.

Ich höre die Stimme von Landeshauptmannstellvertreter Kurt Jungwirth im Lautsprecher: „Lange Zeit war die Natur dem Menschen unheimlich, jetzt hat sie der Mensch in seine Gewalt gebracht.“

Meine Zeit reicht gerade aus, um dem Sekretär der Akademie mitzuteilen, daß ich zu Mittag an einer Kommissionssitzung mitzuwirken habe und daher am Nachmittag erst mit Verspätung an der Akademie teilnehmen kann.

Die etwas in die Länge gezogene Sitzung läßt mich einen Teil des Vortrages von Beat Sitter, dem Generalsekretär der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Naturwissenschaften.versäumen. Etwas erschöpft sinke ich nach Eintreffen im Hörsaal A in einen Sitz der zweiten Reihe und versuche vergeblich, den Faden der vorgelesenen, sehr sachlichen Ausführungen aufzunehmen.

Der anschließende Vortrag von Humberto Maturana, Professor für Neurophysiologie an der Universität in Santiago, den ich einzuleiten und zu moderieren habe, bringt zunächst tröstlich Vertrautes aus dem eigenen Fachgebiet.

Einiges erinnert mich an den Vortrag eines ehemaligen Mitarbeiters von Maturana bei der vorjährigen Akademie. Der restliche Teil des Vortrages bleibt mir inhaltlich verschlossen. Ich entnehme der lebhaften Darstellung des Chilenen, daß er die Objektivität der Umwelt bezweifelt und damit unsere subjektive Verantwortung für die Natur begründen möchte.

Die anschließende Diskussion läßt den Wunsch nach konkreten Konsequenzen erkennen.

Die Nachtsitzung der Akademie bringt eine poetische Betrachtung über unser zerbrochenes Bündnis mit der Natur, mit anschließender Meditation, präsentiert von der Schriftstellerin Christiane Thurn-Valsassina.

Meditation und Musik bringen für einige Minuten die Illusion, dieses Bündnis mit der Natur könne geheilt und gekittet werden - im häßlichsten aller fensterlosen großen Hörsäle der Grazer Universität. Es wird der Beschluß gefaßt, daß nach einem poetischen Erlebnis eine Diskussion nicht zuträglich sei.

Wie sehr mich diese Entscheidung, nichts mehr moderieren zu müssen, erleichtert! Die Gespräche setzen sich in Gruppen fort und schwenken bald auf leidige Tagesereignisse.

Die Einladung, zu einer Nachsitzung in ein Gasthaus mitzukommen, wird von mir wegen Müdigkeit und wegen zeitig am nächsten Morgen geplanter Fahrt zu einer Sitzung nach Wien dankend abgelehnt. Vielleicht im nächsten Jahr, wenn die Natur noch solange durchhält...

Der Autor ist Professor für Physiologie an der Universität Graz und Kardinal-Innitzer-Preisträger. Er moderierte einige Veranstaltungen der Steirischen Akademie 1985. die vom 8. bis 13. Oktober stattgefunden hat

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