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Turner, Lissitzky und Co.

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Ausstellungskataloge sind oft die besseren Kunstbücher. Besonders preiswert wegen der hohen Auflage, und weil ein Teil der Ausstellungssubvention für den Druck verwendet wird. Zwar steht die Qualität des Farbdruckes hinter der eines teuren Kunstbahdes fast immer weit zurück, dafür stammen viele Katalogbeiträge von den kompetentesten Fachleuten. Ausstellungskataloge spiegeln sehr oft neuesten Forschungsstand. Zwar kann der Katalog den Besuch der Ausstellung nicht ersetzen — aber das mindert nicht seinen Wert für den, der die Ausstellung nicht sehen kann. Da die meisten Ausstellungsleitungen Kataloge auf Bestellung zusenden, werden wir künftig regelmäßig Ausstellungskataloge ankündigen. (Der Gegenwert ist in der Originalwährung zu überweisen. Ausstellungskataloge sind mitunter vor Ausstellungsschluß vergriffen, vielfach aber auch noch nach der Ausstellung zu haben.)

„William Turner und die Landschaft seiner Zeit“ in der vom aus Wien stammenden Werner Hofmann geleiteten Hamburger Kunsthalle ist eines der großen, wesentlichsten Ausstellungsereignisse dieses Jahres. Der Katalog wurde von Hofmann in Zusammenarbeit der Kunsthalle mit dem Münchner Prestel-Verlag herausgegeben: 360 Seiten, 40 farbige und 568 schwarzweiße Abbildungen. Der besondere Reiz dieses Werkes ist die übernationale Sicht. Da Turner 1974 und 1975 in London in großen Retrospektiven gezeigt wurde, konnten die britischen Beiträge über die neuesten Forschungserkenntnisse übernommen werden. Eigenschöpferische Leistung der Aussteller hingegen ist der Kontext, in den Turner gestellt wird, die Gegenüberstellung von 160 Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen und Buchillustrationen Turners mit den Werken von rund 100 Zeitgenossen unter sechs großen ikono-graphischen Gesichtspunkten, darunter „Der Anfang aller Dinge“, „Wunschzeiten und Wunschräume — Vergangenheit in der Gegenwart“, „Arkadien und Arbeitswelt“ und „Natur als Ersatzreligion und Konsumartikel“. Durch das britisch-deutsche Teamwork kommt weder die Wiedergabe handfester Forschungsresultate noch die philosophische Reflexion zu kurz.

Bestechend: Die umfangreiche, mit Abbildungen belegte Wiedergabe des Turnerschen Lebenslaufes, vor allem aber die erstmalige (!) Übersetzung von Gedichten William Turners ins Deutsche. (Preis: 21 DM.)

Die Kölner Galerie Gmurzynska (Schaafenstraße 67) schloß mit

ihrer Ausstellung „El Lissitzky“ Informationslücken, denn über den großen sowjetischen Architekten, Maler-, Schrift- und Ausstellungsgestalter wird in Österreich wie in der Bundesrepublik mehr geredet als gewußt. In diesem Fall erscheint mir der Katalog noch wichtiger als die (mittlerweile geschlossene) Ausstellung: Er enthält den Originaltext des legendären ,,Prounen“-Vortrages, den Lissitzky 1920/21 geschrieben und in der Inchuk-Sit-zung vom 23. Oktober 1924 gehalten hat. Es ist einer der wesentlichsten kunsttheoretischen, kunstphilosophischen Texte des zwanzigsten Jahrhunderts in einer Fassung, die noch die ganze optimistische Radikalität der ersten nachrevolutionären Periode hat, die den späteren, im Westen veröffentlichten Versionen fehlt. Aus diesem Text wird deutlich, was Lissitzky mit den „Prounen“ gemeint hat: Raumgebilde, losgelöst von Konstruktion und Material, vielleicht offen für spätere Realisierung.

Der Katalog enthält aber auch, neben bisher unbekannten Privataufnahmen, persönliche Erinnerungen der heute in Novosibirsk lebenden Witwe Sophie Lissitzky-Küppers. Der Abbildungsteil gibt den ganzen Lissitzky- wieder, ai%-genommen dessen späten Abstieg auf das stälinistisch verordnete Niveau etwa seines Werbeplakates für die Rote Armee, das nach dem deutschen Überfall gedruckt wurde und in einem erschütternden Gegensatz zu früheren Lis-sitzky-Arbeiten zum selben Thema steht. Neben „Prounen“ und zahlreichen Abbildungen des längst legendär gewordenen „Transmissionen“-Pavillons, den Lissitzky 1928 für die Kölner „Pressa“ gestaltete, vor allem auch seinen Entwürfen für „Die vier Grundrechnungsarten“, stehen die frühen buchkünstlerischen Arbeiten zu „Chad Gadya“ und der „Prager Legende“. „Chad Gadya“ macht Lissitzkys Verwurzelung in der chassidischen Tradition und die Chagall-Nähe des frühen Lissitzky deutlich. (Katalogpreis: 25 DM.)

Ein riesiges, aus allen Ufern tretendes, geradezu enzyklopädisches Thema haben sich die R,uhr-festspiele für ihre Ausstellung in der Städtischen Kunsthalle Recklinghausen vorgenommen: „Einblicke — Ausblicke, Fensterbtlder von der Romantik bis heute.“ Über die Tragfähigkeit eines solchen Mottos kann man streiten, allzu spezialisiert darf das Thema der Kunstausstellung zu den Ruhrfestspielen wohl nicht sein, gesucht wird hier die „zündende Idee“ für einen Rahmen, in den viel, was vielen gefällt, hinein-

paßt. Der Ausstellungskatalog ist ein umfangreiches und reich bebildertes Kompendium von Bildern, auf denen Fenster vorkommen, die mit Fenstern zu tun haben, wobei eine chronologische Reihung den didaktischen und in-formatiorischen Effekt sicher erhöht hätte. Denn der Bedeutungswandel des Fensters, etwa von Caspar David Friedrich bis Menzel, von den Zeitgenossen ganz zu schweigen, wäre so deutlicher geworden als in der etwas gequälten Einordnung in Rubriken wie „Fensterausblicke“, „Fenster — Einblicke“, „Menschen, die im Fenster erscheinen“ und so fort. Wobei man, genaugenommen, für den isolierten Ruinenbogen eines Carl Gustav Carus die Rubrik „Fenster — Durchblicke“ hätte erfinden müssen. Von Magritte war leider kein Bild zu bekommen — für ihn hätte man wohl die Kategorie „irreale Fenster“ schaffen müssen. (Katalogpreis: 15 DM.)

Jetzt noch im Berliner Kunstverein, demnächst in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf, mit gemeinsamem Katalog: eine Yves-Klein-Retrospektive. Leider ivird das Phänomen Yves Klein nicht interpretiert, sondern zelebriert. In der Form, wie Kleins monochrome Malerei, seine Automatismen, seine Körperabdruck-Arbeilen, seine Versuche, Feuer zu einem künstlerischen Darstellungsmittel zu machen, hier vorgeführt werden, sind sie für Kenner von Yves Klein (und ver-xoandter Persönlichkeiten) sicher adäquat dargestellt. Aber die Chance, Leuten, die vorerst nicht verstehen können oder wollen, worum es da geht, dies klar zu machen, blieb ungenutzt. Persönlichkeiten wie Yves Klein müssen erklärt, interpretiert, aber nicht mit tödlichem Ernst zu Emanationen des Weltgeistes hochstilisiert werden. (Katalogpreis: 12 DM.)

Wer auf seiner Urlaubsreise in die Nähe von Sankt Wolfgang kommt, sollte einige Stunden für die Ausstellung „Der heilige Wolfgang in Geschichte, Kunst und Kult“ einplanen, die vom Land Oberösterreich im Schloß zu St. Wolfgang, im Salzkammergut veranstaltet wird. Der reichillustrierte Katalog (160 Seiten, acht Färb- und 48 schwarzweiße Abbildungen) macht Oberösterreichs intensive historische Beziehungen zu Bayern sichtbar, enthält interessantes bau- und kunstgeschichtliches Material über die Wallfahrtskirche St. Wolfgang am Abersee, ist aber auch für Volkskundler und volkskundlich Interessierte wesentlich. (Katalogpreis: öS 70,—.)

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