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Umkehr tut not

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Die Bibel ist schon ein Traum-büchl. Zum Beispiel die Geschichte vom Propheten Jona und seinem Auftrag in Ninive.

Eine riesige Stadt, der durch ihre Lebensart der Untergang bevorsteht. Nach einigem Zögern und Zaudern läßt sich Jona von Gott überreden und geht in diese Stadt, um sie zur Umkehr zu bewegen. Und wider aUes Erwarten — sie hört auf ihn. Vom König bis zum Bettler, ja selbst Rinder, Schafe und Ziegen — alle fasten und ändern ihr Leben, kehren um. Eine wunderbare neue Stadt entsteht.

Wenn sie Ninive bei uns spielen würden — das war doch ein Traum. Eine Welt, in der jeder leben kann, die Zukunft hat. .. aber halt nur ein Traum.

Doch am Aschermittwoch 1984 vermeinte ich einen Zipfel davon zu erwischen. Es ist am Heldenplatz in Wien gewesen. Auf diesem Platz, der schon so viele Versammlungen gesehen hatte, sind an die 300 Menschen um das Papstkreuz versammelt gewesen. Studenten als tragende Schicht, aber auch andere. Von der Veränderung der Menschen, vom neuen Umgang mit der Welt und den Mitmenschen war die Rede in den Texten. Die Lieder sprachen von der Bereitschaft zur Umkehr, von der Zuversicht, daß das neue Leben möglich sein wird. Die Ernsthaftigkeit der Menschen bei diesem Aschenkreuz hat mich gepackt - Ninive in Kleinformat ist für mich greifbar geworden.

Anschließend an den Gottesdienst hat es dann bei wärmendem Tee Gespräche gegeben. Und da ist mein Traum vom Klein-Ni-nive etwas getrübt worden. Ich bin mit einer Frau mittleren Alters ins Gespräch gekommen. Von den Nöten ihres Lebens hat sie mir erzählt, von den Umwegen und Auswegen, die sie sucht. „Vielleicht liegt da der Weg - in der Umkehr” meinte sie seufzend, auf das Joel-Zitat aus dem Gottesdienst „Kehrt um zu mir von ganzem Herzen” anspielend. Aber wie das genau aussehen sollte, wußte sie auch nicht.

Wieder nichts mit Klein-Nini-ve; nichts mit der neuen Stadt. Dabei hatte ich gemeint, wenn diese Gesellschaft der dreihundert auf dem Heldenplatz umkehrt, wird's etwas Neues, weil auch der einzelne umkehrt.

Aber das ist ja auch in der Geschichte nicht so gewesen. In der „christlichen Zeit” des Mittelalters prägte zwar der Glaube die Gesellschaft und das Leben—aber was der einzelne lebte und glaubte, blieb im dunkeln.

Nicht die Sehnsucht nach Ninive tut not, sondern die Sehnsucht nach dem Jona, dem Propheten. Denn wenn die Gesellschaft als Ganzes eine neue Richtung einschlägt, tun's bloß die Vorbeter der Nation — aber der einzelne zieht nicht mit. Die nächsten Vorbeter geben wieder eine andere Richtung an, und beim einzelnen ändert sich wieder nichts.

Es gibt nicht zuwenig Ninives, es gibt zuwenig Propheten. Und das trifft mich, das trifft Sie, der/ die Sie das lesen. Sie, ich — wir haben Einfluß.

Ihre Eßsitten färben ab. Ihre Bereitschaft des Teilens oder des Gierigseins läßt aufhorchen. Ihr Umgang mit dem Trinken zieht andere in Bann. Ihre Nutzung des Autos — ob sie es stehenlassen oder fahren, das hat Auswirkungen. Ihr Umgehen mit Mann und Frau, ihr Sprechen über diesen Bereich schafft Atmosphäre. Ihr Mut zur Wahrheit, ihr Handhaben des Geldes setzt Signale, schafft Auseinandersetzungen. Was sie an Geduld, an Behutsamkeit, an Treue erleben lassen, macht nachdenklich. Ihre Einteilung der Zeit, was sie wichtig nehmen, ihr Glaube oder Unglaube — das alles setzt Akzente.

Es gibt nicht zuwenig Ninives. Es gibt zuwenig Propheten. Jona wollte sich ja bekanntlich drük-ken von seiner Aufgabe. Sie vermutlich nicht minder. Ich zwischendurch ebenfalls. Und doch kann nur so Umkehr in Gang kommen, bis zum Tier hin. Dann kann Ninive werden, immer wieder.

Das Christentum selber ist eigentlich auch nicht anders geworden — und kann sich heute nicht anders entfalten...

Kaplan Rainer Porstner ist Seelsorger im Zentrum für Laientheologen in Wien.

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