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AGNETE

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9. Fortsetzung

Ich fühlte mich bei diesen wie in visionärer Erregung gesprochenen Worten De-genharts unheimlich betroffen. Was wollte er inmitten seiner Erzählung mit dieser Abschweifung ins Reich der Sage, zu den Geistern der Berge? Die Teilnahme, die ich der mir immer klarer werdenden Abseitigkeit seines Wesens entgegenbrachte, sie begann nunmehr in Besorgnis überzugehen.

Und seltsam, als hätte Degenhart das wohl gefühlt, berührte er meinen Arm und sagte: „Sie werden denken, daß das alles nicht hieher gehört? Sie irren, ich bin durchaus bei der Sache! Ich habe ihnen nämlich zu berichten, daß ich, Major des Artilleriestabes Rolf Degenhart, zur Stunde Referent des 27. Divisionskommandos, mit Seiner Majestät dem Geisterkönig Laurin zu kämpfen hatte, um die Seele eines Weibes, und daß iah, es war wohl Menschenschicksal, gesiegt zu haben glaubte, indes ich kläglich unterlag.“

„Wir sind im übrigen“, fuhr er durchaus sachlich fort, als betrachte er sein Leben wie ein Außenstehender, „an einem Punkte angelangt, von dem an ich midi anders über Agnete äußern muß. Ich bin von nun an mit ihr allein. Sie werden mich verstehen, es darf mir b:i solchen Geständnissen nicht um das Letze gehen, was mir noch geblieben ist. Man muß sich hüten, die innersten Keime einer großen, letzten Erinnerung erzählerisch aufzulösen. Wir haben das uns Wertvollste zu verschweigen in uns, damit es unvergänglich in uns weiterlebe. Besonders gilt das von der Forderung, die geliebte Tote an uns stellen. Was sie uns gaben, was sie uns gewesen sind, das liegt allein in unserer, der Oberlebenden, Hand. Ihr einziger Anwalt ist unser Gedächtnis, ihr einziger Schatzhüter ist unser Schweigen. Ich konnte Ihnen bisher so ausführlich, allzu ausführlich, wie ich fürchte, von Agnete berichten, solange es um Entwicklungen ging. Nunmehr aber, da Agnetens Gestalt entscheidend an mich herantritt, kann ich nur noch andeutungsweise sprechen.

Vernehmen Sie also: Es kam am nächsten Tage zwischen Agnete und mir zu jener Aussprache, die mein Herz ersehnte. Ich konnte nicht anders als rückhaltlos zu ihr sprechen. Wir saßen im Besuchsraum ihrer kleinen Wohnung oben in der Pension. Es konnte bei unser beiden Art, allem Halben, allem spielerisch Werbenden auszuweichen, nicht anders kommen, als daß wir uns wie Freunde auch dort aussprachen, wo es nicht nur um Freundschaft ging. Agnete gestand mir freimütig, daß ich ihr näherstehe als irgendein anderer Mensch auf Erden. Schon seit meinem ersten Briefe, bekannte sie mir, habe sie sich in tiefster Seele mit mir verbunden gefühlt. Sie empfand mich, ich gebrauche hier ihre eigenen Worte, wie einen Weggefährten in dem befreiten Tempel ihrer Einsamkeit, und ich war ihr innerlich so nahe, daß sie in ihrem harmonischen Glücke keinerlei Veränderung dieses traumhaften Zustandes wünschte. Dachte sie an eine persönliche Begegnung zwischen uns, so sei sie immer wieder wie von außen her gewarnt worden, als ginge es da vielleicht um den Verlust ihrer Einheit mit sich selbst, als wäre sie nicht mehr allein den Menschen zugehörig und als habe sie auch nicht mehr völlig das Recht, über sich allein zu verfügen.

Sie wies dabei, wie um die Zartheit dieses Geständnisses anzudeuten, auf die Sage vom Rosengarten hin, es habe König Laurin sein Zauberreich mit nichts als einem seidenen Faden umsponnen, wer den zerreiße, der vernichte mit aller Herrlichkeit auch sein eigenes Traumland und stürze seine Seele in Verwirrung.

Sie werden begreifen, daß diese seltsamen Worte aus dem Munde der sdiönen einsamen Frau mich tief betrafen. Eigendich hätte ich, was sie mir hier bekannte, als die endgültige Absage an jede irdische Erfüllung hinnehmen müssen. Mein Herz aber schöpfte längst seine Hoffnung und sein Gesetz aus der Macht seiner eigenen Sehnsucht. Es glaubte aus der scheuen Wärme ihres Tones, aus dem zärtlichen Schimmer ihres Blicks im letzten doch das Entscheidende lesen zu können. Und vielleicht empörte sich auch ein verzweifelter Trotz in mir, den Kampf mit dem unirdisch Dämonischen, das Agnetens Seele wie der Seidenfaden Laurins umspann, nicht nur um meines Glückes, sondern auch um ihrer eigenen Rettung willen aufzunehmen. Kurz, ich kann hier Ihnen, dem Manne, und könnte wohl auch keinem andern Menschen verraten, was ich nunmehr in der Not und Bedrängnis meines Herzens zu Agneten sprach. Mir war, als sollte ich, um den letzten Kampf zu bestehen, all das Glühende, Abgründige, bisher so mühsam Verhaltene meiner aus geistigen Keimen geborenen, aus irdischen Wünschen genährten Leidenschaft in mir wachrufen und ich war mir dabei, bei aller Entfesselung meines Gefühls, der Wirkung meiner Worte wohl bewußt. Mir war es, ich klage mich dessen an, in jenen entscheidenden Augenblicken nicht um Einsicht, nicht um Milde, nicht um Schonung für Agnete zu tun, es ging nur um die Selbstsucht meines eigenen Herzens, um den Willen eines Liebenden zur Macht. Und Agnete?

Es geschah, was mich heute noch wie ein Traum in seiner jähen Erfüllung berührt: Agnete war unter dem Ansturm meine-Worte plötzlich wie verwandelt. Sie schien wie widerspruchslos in ihr Schicksal zu versinken, sah mich aus Kinderaugen tief und bechwörend an und war in allem nur noch Demut, Milde, Verständnis, Heimat, Offenbarung — ich kann und will darüber nicht weiter sprechen —, es ist mir heute wohl klar, daß dies alles bei ihr aus dem Zwange einer großen weiblichen Güte heraus geschah, als sie an jenem Abend heimkehrte zu mir, in den Sturm des menschlichen Gefühls und jeglichen Untergangs, aus der reinen Größe ihrer bisher so stillbefreiten, geistig-verklärten Natur.

So hatte also, ich konnte mich dessen freuen, wieder einmal Menschlichkeit gesiegt! Was sollte sie auch anderes tun und für sich begehren? Sie schmücke sich wie von alters her mit allen Sehnsuchtskränzen aus dem Reich der Götter, sie stürme sämtliche Himmel hinan, im letzten ist Erhabenheit und ist Entsagung ihre Sache nicht!

(Fortsetzung folgt)

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