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Veränderte Anschauungen

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Nur im Handeln lernen wir uns wirklich kennen, nicht hl unseren Gedanken und Gefühlen. Man kann im Ernstfall gänzlich anders handeln als es den eigenen, selbst mit Nachdruck ver-fochtenen Anschauungen entspricht. Das zeigt das wenig bekannte Schauspiel „Das Märchen“ von Arthur Schnitzle'r, das derzeit im Volkstheater zu sehen ist. Es entstand 1893, einige Jahre nach „Anatol“ und vor „Liebelei.“

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Nur im Handeln lernen wir uns wirklich kennen, nicht hl unseren Gedanken und Gefühlen. Man kann im Ernstfall gänzlich anders handeln als es den eigenen, selbst mit Nachdruck ver-fochtenen Anschauungen entspricht. Das zeigt das wenig bekannte Schauspiel „Das Märchen“ von Arthur Schnitzle'r, das derzeit im Volkstheater zu sehen ist. Es entstand 1893, einige Jahre nach „Anatol“ und vor „Liebelei.“

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Das Wort „Märchen“ wird hier nicht in seinem eigentlichen Sinn angewendet, es ist damit etwas gemeint, woran man nicht glauben soll: an den Makel gefallener Mädchen, der eine völlige gesellschaftliche Diskriminierung bewirkt. Der Vorstellung von den „Gefallenen“ tritt der dreißigjährige Schriftsteller Fedor mit besonderer Bestimmtheit in einer Gruppe junger Künstler entgegen, die sich — damals schon

— als „neue Menschen“ bezeichnen.

Beim Empfangstag einer Familie

— Mutter und zwei Töchter — befinden sich diese jungen Leute unter den Gästen, und da entflammt Fedor für eine der Töchter, für Fanny, die eben als Schauspielerin ihre erste große Rolle und gleich auch ein Angebot aus Petersburg erhielt. Der, mit dem sie in Beziehung stand, hat eine andere geheiratet, nun aber fühlt sie tiefe Liebe zu Fedor und eben dadurch zugleich Reue, sie will das „Märchen“ wegräumen, nur sein Geschöpf sein; er vermeint zwar, sie vom Beginn aller Tage an zu lieben, dennoch kann er, entgegen seiner groß verkündeten Anschauung, über ihre Vergangenheit nicht hinweg, spricht bitter von ihrer Schmach. Da nimmt Fanny das Petersburger Angebot an.

Das ist eigentlich ein Tendenzstück: Der junge Schnitzler kämpft gegen die Auffassung einer vergangenen Zeit, führt vor allem Diskussionen vor, zu einer Handlung kommt es erst in der letzten Szene. Ist das Stück veraltet? Zur rückgewandten Eifersucht auf jene, die mit dem geliebten Menschen vordem in Beziehung standen, kommt es auch heute, aber das bleibt privat, es gibt keine gesellschaftliche Verdammuri'g. Und daß so mancher anders denkt, als er dann handelt, wiederholt sich immer wieder. So mischt sich hier Veraltetes mit auch heute Gültigem, wobei nun freilich der Reiz der Schnitzler-Welt in anderen Stücken stärker spürbar wird.

Regisseur Gustav Manker ist allem österreichischem, so auch Schnitzler, besonders verbunden, das Ensemble des Volkstheaters bietet aber treffliche Besetzungen vor allem für Volksstücke, so kommt das spezifisch Schnitzlerische in der Aufführung nur bei einem Teil der Darsteller heraus. So bei Kitt-y Speiser als Fanny im Innigen, aber auch so sehr Schmerzlichen dieser echten Liebe. So bei Peter WoZsdorff als

Fedor im Nachdruck der Forderung, im Unvermögen, sie selbst zu erfüllen. Unter den weiteren Darstellern setzt Berhard Hall zu beachtlicher, hisher ungewohnter Charakterisierung an, nuanciert Peter Hey anders als sonst einen Biedermann, zeichnet Maria Urban ruhig Fannys Schwester. Degagiert gibt Hüde Sochor eine Schauspielerin, Vera Gassler ein junges Ding, das eine werden will. Harry Fuß skizziert temperamentvoll einen russischen Theateragenten. Dem Typ nach stimmen weder Heinz Petters, noch Rudolf Strobl für ihre Rollen, sie spielen wie gewohnt. Georg Schmid entwarf zwei ansprechende Wohnzimmer.

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