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Verdis Luisa in Tirol

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Die zu Beginn der Saison angekündigte große Meyerbeer-Oper „Der Prophet“ hätte uns mehr interessiert. Aber auch der Ersatz, „Luisa Miller“, nach Schillers „Kabale und Liebe“ von Salvatore Cammarano in ein Libretto umgewandelt und 1848 in Neapel uraufgeführt, war eine Trouvaille. Zwar wurde aus dem sozialkritischen Stück Schillers, das noch 1926 in einer damals angesehenen Literaturgeschichte als „das beste deutsche Volksstück“ bezeichnet wurde, eine kleinbürgerliche Tragödie — aber was tut's. Ob das tödliche Gift im letzten Akt in Limonade oder in Milch geschüttet wird — das macht schließlich keinen großen Unterschied...

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Die zu Beginn der Saison angekündigte große Meyerbeer-Oper „Der Prophet“ hätte uns mehr interessiert. Aber auch der Ersatz, „Luisa Miller“, nach Schillers „Kabale und Liebe“ von Salvatore Cammarano in ein Libretto umgewandelt und 1848 in Neapel uraufgeführt, war eine Trouvaille. Zwar wurde aus dem sozialkritischen Stück Schillers, das noch 1926 in einer damals angesehenen Literaturgeschichte als „das beste deutsche Volksstück“ bezeichnet wurde, eine kleinbürgerliche Tragödie — aber was tut's. Ob das tödliche Gift im letzten Akt in Limonade oder in Milch geschüttet wird — das macht schließlich keinen großen Unterschied...

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In der Reihe der rund 30 Verdi-Opern steht „Luisa Miller“ etwa in der Mitte, ist also keineswegs die Arbeit eines Anfängers. Und doch hat diese inspirierte, abwechslungsreiche und fein instrumentierte Partitur den Reiz des unverbraucht Jugendlichen, Unroutinierten. Vor der Erfolgstrias „Troubadour“, „Rigolet-to“ und „Traviata“ entstanden, hat sie ungefähr den Stellenwert von Puccinis reizender „Manon Lescaut“, die uns von allen ihren sentimentalen Schwestern die liebste ist.

Von den inhaltlichen Transformationen des Schiller-Dramas und den zum Teil umfunktionierten Hauptpersonen zu sprechen hat wenig Sinn (der Sohn des Präsidenten, hier „Graf von Walter“, ist nicht Major, sondern einfach ein x-beliebiger Rodolfo; aus dem Musikus MiHer wurde ein braver Veteran; die ambi-tionierte Lady Milford wurde zu einer Friederike, Herzogin von Ostheim verharmlost usw.).

Das alles könnte man akzeptieren, nur die von Cammarano vorgeschlagene Verlegung der Handlung nach Tirol war überflüssig und gereichte auch der Wiener Inszenierung zum Unheil. Hier hätte ein couragierter Regisseur eingreifen und ändern müssen, anstatt uns die Geschichte in einem Rahmen vorzuführen, wie unser Bild ihn darstellt: ein kleines, etwas erhöhtes Haus, beziehungsweise Zimmer, umgeben von dräuenden Bergen, einem Alpenmassiv mit Wolfsschlucht-Charakter. Mit seinen düsteren, niederländisch-flämischen Farben drückte dieses unglückliche Bühnenbild Schneider-Siemssens auf den ganzen Abend.

Denn an der Musik und ihrer Ausführung hätte man seine Freude haben können, zumindest ein gewisses naives Vergnügen. Transparenz des Klanges, Diskretion der Charakterisierung, Verzicht auf grobe Effekte und vulgäre Schlager: das alles sind Qualitäten, die auf Hanslick, den unfehlbaren Danebenhauer von der „Presse“, den „widerwärtigsten Eindruck“ machten. Dieses idiotische Urteil allein bedeutet einen Adelsbrief und liefert wieder einmal den Beweis, daß dieser angesehenste und gefürchtetste Kritiker ein Leben lang auf seinen Ohren gesessen ist.

Zu hören gab es genug Erfreuliches an diesem Abend. Wir möchten primo loco Maestro Alberto Erede und die fein und präzis spielenden Philharmoniker nennen. Secundo loco die vielen Chöre: des Landvolkes und den Doppelchor der Jäger mit Echowirkungen, den Chor der Hofgesellschaft und der besorgten Frauen usw. Der Regisseur Paul Emil Deiber, ein interessanter und kluger Mann, führte die Hauptpersonen ziemlich konventionell und verwandte seine meiste Energie darauf, die immer wieder sich vordrängenden Chormassen im Zaum zu halten und bald wieder von der Hauptbühne in den das kleinbürgerliche Häuschen umgebenden Naturrahmen zu bugsieren. (Es soll eine chorlose Fassung des Werkes geben, wir kennen sie leider nicht, vielleicht wäre sie vorzuziehen gewesen, und Leo Bei hätte weniger Arbeit gehabt.)

Lilian Sukis schien als unglückliche Luisa für diese Rolle prädisponiert (obwohl sie leicht indisponiert gewesen sein soll). Ihre Stimme mit dem angenehmen Timbre wird sehr sorgfältig und vorsichtig geführt, klingt nicht gerade brillant, hat dafür aber in der höchsten Höhe auch keine Schärfe. — Franco Bonisolli, der über genügend tenoralen Glanz und auch über die entsprechende Stärke der Stimme verfügt, war auch in der Erscheinung ein echter Grafensohn: schlank und elegant. Von den drei Bässen ist an erster Stelle Giuseppe Taddet zu nennen, von dem auch ein spürbarer dramatischer Impetus ausging. Bonaldo Giaiotti, Malcolm Smith, Horst Nltsch und Milkana Nikolowa als gutmütige, ein wenig fade Freundin der Luisa, entsprachen den Anforderungen ihrer Rollen zur allgemeinen Zufriedenheit (Es gab nur einzelne Protestrufe, die sich aber wohl gegen das Bühnenbild richteten; in der Wiener Oper kann man das nur mehr selten unterscheiden).

Im ganzen: eine nicht gerade aufregende, aber auch nicht enttäuschende Aufführung, die die Bekanntschaft mit einem hier noch nicht produzierten Werk vermittelte.

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