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Volkskirche überholt ?

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300.000 Menschen bei der Papstmesse im Donaupark, 90.000 Jugendliche im Stadion, Millionen erleben den Katholikentag vor dem Fernseher: Gibt es sie doch, die Volkskirche?

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300.000 Menschen bei der Papstmesse im Donaupark, 90.000 Jugendliche im Stadion, Millionen erleben den Katholikentag vor dem Fernseher: Gibt es sie doch, die Volkskirche?

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Das Erlebnis des Katholikentags hat eine Frage wieder aufleben lassen, die manche schon für erledigt gehalten haben. Man hat seit langem — genau gesagt seit dem Katholikentag 1952 — wieder einmal das katholische Volk erlebt.

Es war tatsächlich als solches versammelt, nicht nur addiert als statistische Größe von sonntäglichen Kirchenbesuchern, apostolischen Gruppen oder Wallfahrern. Was sich manche nur als Kirtagsrummel vorstellen konnten, trat als bewegende Versammlung in Erscheinung.

Vor zwanzig Jahren waren sich viele einig: Aus der Volkskirche muß Entscheidungskirche werden; die Kirche der Zukunft heißt Gemeinde. Man wollte eine Kirche der Aktivisten, der Entschiedenen, der Intensivgemeinden. Dem während des Zweiten Weltkriegs vertretenen Pfarrprinzip stellte man das Prinzip Gemeinde gegenüber.

Konsequent zum Konzept Entscheidungskirche verlangte man ein höheres Firmalter, eine später angesetzte Erstbeichte und Erstkommunion, eine größere Strenge bei der kirchlichen Trauung sowie bei der Zulassung zur Taufe. Man sollte nicht, einfach weil man Österreicher ist, auch schon Katholik sein, also in die Kirche so hineingeboren werden wie in sein Volk — denn das heißt Volkskirche.

Man hat geglaubt, auf die farbige Einbettung der Kirche in Folklore und Brauchtum, auf das vielfältige Geflecht katholischer Vereine verzichten zu können. Man hat die Kirtage abgeschafft und gegen den Firmrummel gepredigt, den Kirchenwirt ums Geschäft gebracht und statt dessen Pfarrbuffets errichtet.

Nun, reine Kirche verhält sich wie reiner Alkohol; Sie verdunstet rasch. Tatsächlich ist in den letzten dreißig Jahren viel Kirchlichkeit verdunstet. Die Ursachen sind zahlreich. Eine davon ist wohl die Katharer-Bewegung der letzten Jahrzehnte, die die Kirche von allem in Jahrhunderten gewachsenen Beiwerk reinigen wollte.

Doch was man für Beiwerk hielt, erwies sich oft als stützendes und festigendes Element. Es war mit der Kirche so fest zusammengewachsen, daß ein Stück von ihr selbst mitging, als man es ausriß.

Natürlich braucht die Kirche lebendige Gemeinden. Sie braucht Entschiedene und Aktivisten. Sie braucht die vielen Idealisten, die Zeit und Geld und Phantasie für die Kirche einset- zen. Sie braucht das Drängen zur Nachfolge, zum Opfer, zur Kreuzaufnahme.

Sie braucht aber auch die Geduld des wartenden Vaters, der nach seinem verlorenen Sohn Ausschau hält. Man muß in dieser Kirche auch zeitweilig verlorener

Sohn sein dürfen, dem gerade in der Ferne wieder einfällt, daß er eigentlich zum Vaterhaus gehört. „Wer euch heute fern steht, kann euch morgen nahe sein“, heißt ein außerbiblisch überliefertes Wort Jesu.

„Kirchlichkeit ist nicht Anfang, sondern Ende der Gnade, die sich nach ihrer souveränen Freiheit unter den Menschen einige beruft“, schreibt Karl Rahner. Auf diesem Weg, auf dem die Kirche als Volk Gottes unterwegs ist, gehen viel mehr mit, als sich organisieren, aktivieren und verge- meindlichen lassen.

Volkskirche wird manchmal polemisch im Gegensatz zu einer Gemeinde- und Entscheidungs- 4 kirche gebraucht. Sie gilt manchen als eine Organisationsform der Kirche, die überholt ist und überwunden werden muß. In letzter Zeit hört man allerdings von Theoretikern die Parole: Aus einer Kirche für das Volk soll eine Kirche des Volkes werden.

Man steht also der Volkskirche nicht mehr ablehnend gegenüber, sonder man will das Negative eines Zwangssystems ausfiltern und das Positive behalten: Eine Kirche, mit der sich ein Volk identifiziert; die es als seine Kirche ansieht, obwohl sich nicht alle am kirchlichen Leben beteiligen. Man verlangt nicht mehr die totale Gemeindlichkeit, sondern man will lebendige Gemeinden innerhalb einer Kirche des Volkes, die recht verschiedene Stufen zuläßt. Diese Entwicklung kann man nur begrüßen.

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