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Vorbild mit Rückschlägen

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Zu Zeiten Jean-Jacques Rous- seaus hätte ich mich als Mut- ter zweier Töchter vermutlich leich- ter getan: „Die Erziehung der Frau sollte sich immer auf den Mann beziehen. Zu gefallen, für uns nütz- lich zu sein...: das sind die Pflich- ten der Frauen zu allen Zeiten, und das sollten sie in ihrer Kindheit gelehrt werden." Die Überzeugung, die Frau sei die Ergänzung des Mannes, bestimmte die Sichtweise des Geschlechterverhältnisses und wies den Frauen ihren eindeutigen Platz im gesellschaftlichen und im innerfamiliären Leben zu.

Heute geht es ja wohl darum, Mädchen so zu erziehen, daß sie sich als Person (mit weiblichem Geist und weiblichem Körper) annehmen können; daß sie kritik- fähig sind und die Überzeugung haben, ihr persönliches Leben ge- stalten und darüber hinaus einen unverzichtbaren Beitrag zum Le- ben unserer Gesellschaft leisten zu können. Das sollte eigentlich genü- gen, sie auch für alle Realitäten ihrer künftigen Frau-Mann- und Frau-Frau-Beziehungen selbstbe- wußt auszustatten. Wird es das auch tun?

Als überzeugte Vertreterin der Theorie „Die beste Erziehung ge- schieht durch das eigene Vorbild" beschleichen mich lebhafte Zwei- fel. Meine Töchter können ja gar nicht anders, als meine bruchstück- haften Versuche einer „feministi- schen Lebensführung" mit allen Rückschlägen, Fehlschlägen, her- beigesehnten Utopien in ihren See- len aufzunehmen.

Bekommen sie doch auch selber immer wieder meine Enttäuschun- gen direkt zu spüren - an Tagen, an denen mir der emotionale Zugang zu ihrer Kinderwirklichkeit abhan- den kommt und sie nur mehr als Teile eines mich hindernden „pa- triarchalen Systems" meine haus- fraulichen Wege kreuzen. Sie kön- nen nicht anders, als meine vielfäl- tigen Umgangsweisen mit Männern zu registrieren: vom offenen Zorn bis hin zur verbalen (und vermut- lich auch mimischen) Unterwerfung - je nachdem, was es zu erreichen gilt und in welchem Verhältnis wir zueinander stehen.

Über die Söhne von Feministin- nen, die ihr Kinderleben in Frauen- gruppen verbrachten, kursieren Witze, Karikaturen und einige psychotherapeutische Zeugnisse. Wie ist das mit Töchtern von Femi- nistinnen? Sind sie sichere Kandi- datinnen für die „Neue Weiblich- keit"?

Ich wünsche mir sehr, daß es mir gelingt, ihnen die positiven Seiten dieser meiner Art von Leben zu vermitteln. Ich wünsche sie mir stark genug, daß sie auch vor den schmerzhaften Bedingungen des Frauseins in unserer Gesellschaft nicht die Augen verschließen müs- sen. Ich wünsche mir, daß sie die Wichtigkeit sehen, die Frauen- freundschaften für mein Leben haben. Und ich hoffe, daß sie ver- stehen können, daß die immer noch vorhandene Flut entwertender und entfremdender Frauenbilder der Grund für mein Engagement in Frauenanliegen ist. Ein Engage- ment, zudem ich gerade um meiner Töchter willen stehe - auch dann, wenn es manchmal auf Kosten unserer Zeit füreinander geht.

Meine ältere Tochter Marlies spielt mit ihrer etwas jüngeren Freundin ein Gesellschaftsspiel. Dazu gehören farblich eingerande- te Karten. Der einjährige Bruder von Marlies' Freundin will mitspie- len und nimmt sich eine der Karten, sie hat einen orangen Rand. Seine Schwester dazu ent- schieden: „Nein, Phi- lipp. Ich glaube, meine Oma hat gesagt Blau ist die Farbe für Buben. Da hast du die mit blauen Rand!" Nach einer Pau- se meint meine Ältere: „Meine Oma hat mir nicht gesagt, daß Blau die Farbe für Buben ist. Die ist dumm, gelt?"

Wirklich dumm, nicht wahr? Wie soll man ohne die Vermittlung solcher Lebensweisheiten als Frau in unserer Gesell- schaft bestehen? Sie glauben an die Überbe- wertung eines Details? Ich glaube bis zum Be- weis des Gegenteils an. ein Symptom - denn ich möchte mich nicht zu früh auf feministischen Lorbeeren ausruhen.

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