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Wenn ein Weiler „explodiert” . ..

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Teure Infrastrukturen und Benachteiligungen beim Finanzausgleich kennzeichnen die Probleme jener Gemeinden, in denen zu viele Städter Zweitwohnsitze haben.

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Teure Infrastrukturen und Benachteiligungen beim Finanzausgleich kennzeichnen die Probleme jener Gemeinden, in denen zu viele Städter Zweitwohnsitze haben.

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„Die Landschaft ist überschüttet mit Kastanienblüten. Dunkelrote, weiße, rosige Kastanienblüten überall. Uberall Zettel von Zimmern, die zu vermieten sind. Man bietet Gesundheit und Frieden an über die gesamte Saison. Aber die wirkliche Gesundheit, den wirklichen Frieden genießen jetzt die Hausbesitzer in ihren von

Von ELFI THIEMER

Kastanienblüten strotzenden stillen Gärten.

Ihr Vorfrühling, ihr Frühling, ihr Spätherbst sind ihnen gesünder als der Sommer ihren zahlenden störenden Parteien.”

Was hier so provokant und wehmutsvoll zugleich geschildert wird, ist nicht heutige Wirklichkeit — unser Zitat stammt aus der Feder eines der berühmtesten Wiener „Kaffeehausliteraten”. Peter Altenbergs Betrachtungen über Baden bei Wien im Frühling, geschrieben um 1900, sind in einer Hinsicht noch aktuell. Auch damals scheinen die erholungsu-chenden, ins Grüne flüchtenden Städter - meist aus Wien - geteilte Emotionen wachgerufen zu haben.

Die Zeiten haben sich geändert, Urlaub und Erholung sind für breiteste Schichten finanziell möglich geworden. Motorisierung und gute Verkehrsverbindungen taten das übrige.

Zu den Villen und gemieteten Zimmern einer wohlhabenden Oberschicht von damals gesellten sich - nicht nur in der Umgebung Wiens — reihenweise Zweithäuser und Wohnungen von Menschen unterschiedlichster sozialer Stellung. Ein Ort, der den Vorstellungen von Frühlingspracht und

Frischluft besonders entgegenkam und noch kommt, ist Eichgraben. Er liegt rund 35 Kilometer westlich von Wien zwischen Neulengbach und Preßbaum. Und hat außerdem den Vorzug, über Westbahn und Westautobahn leicht und schnell erreichbar zu sein.

Das alles trug dazu bei, daß Eichgraben Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in einer großen „Besiedelungswelle” zum Ventil verständlicher grüner Sehnsüchte und für den Traum vom eigenen Häuschen wurde. Heute steht die Gemeinde allerdings vor der prekären Situation, fast so viele Einwohner zu haben, die sich hier ihr Wochenendhaus gebaut haben und meist auch nur zu diesen Zeitpunkten anwesend sind, wie Einheimische.

Eichgraben hat derzeit 2.821 ständige Einwohner und 2.292 gemeldete „Zweitwohnsitzer”. Alle zusammen leben in etwa 2.000 Häusern, von denen zehn Prozent noch nicht fertig, aber meist schon bewohnt sind. Ein gutes Drittel machen die Wochenendhäuser aus.

Die meisten Häuser wurden um 1970 gebaut, als in der allgemeinen Wachstumseuphorie der Gemeinden die Flächenwidmungspläne großzügig gestaltet wurden und das Bauland um weniger als hundert Schilling pro Quadratmeter zu haben war.

Für die Gemeinde Eichgraben bestand die Notwendigkeit, die Infrastruktur einem enorm gewachsenen verbauten Gebiet anzupassen. Die vorhandene Kanalisation, die Wasserversorgung durch Brunnen und das Straßennetz reichten längst nicht mehr aus. Heute ist die Finanzkraft der Gemeinde, bedingt durch diese Situation, schon längst überspannt, die Kredite von Bund und Land können nicht zurückgezahlt werden. Dazu kommen, wie der geschäftsführende Gemeinderat von Eichgraben, Rudolf Klenk, unumwunden zugibt, Fehleinschätzungen der zukünftigen Entwicklungen und der daraus resultierenden Einnahmesituation vor fünfzehn Jahren.

Diese schlechte Finanzlage Heß den Ort schon, zusammen mit anderen österreichischen Gemeinden in ähnlicher Situation, zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen über die Uberschuldung und die Finanznöte im kommunalen Bereich werden. Für Rudolf Klenk und Bürgermeister Hermann Kopp ist das Riesenproblem, daß Finanzmittel und Bedürfnisse nicht mehr im Einklang stehen, kaum zu lösen.

Grüne Protestaktionen

Ihre Vorwürfe richten sich vor allem gegen die mangelnden gesetzlichen Bestimmungen. Der Finanzausgleich berücksichtigt ja bekanntlich nicht die Zweitwohnsitze, wodurch der Gemeinde nach ihren Schätzungen jährlich Millionenbeträge entgehen. Sie würden dringend benötigt für die gewünschten Verbesserungen der Infrastruktur, oder beispielsweise einen Kindergarten, oder für Turnsäle.

Für die Gemeinde bestand und besteht, klagt Gemeinderat Klenk, nur eine beschränkte Anzahl von Möglichkeiten, den chronischen Geldmangel nicht noch mehr ausufern zu lassen. Die Gemeinde hilft sich durch eine Beschränkung des Baulandes und durch sehr hohe Gebühren und Abgaben unter Ausnützung sämtlicher rechtlicher Gegebenheiten. Maßnahmen, die schon zu zahlreichen Protestaktionen und Bürgerinitiativen geführt haben.

Dazu kommen noch grüne Bewegungen, die sich mit Postwurfsendungen und Petitionen an

Bürgermeister und Gemeinderäte gegen allzuviel Verbauung wehren. Die finanzielle Zwickmühle der Gemeinde bleibt auch nicht ohne menschliche Auswirkungen.

Auch für Eichgraben sind, wie in den meisten größeren und kleineren Gemeinschaften, die Zeiten vorbei, wo die persönlichen Kontakte statt des Fernsehens zählten. Der Ort, erzählt Pfarrer Franz Halbartschlager, war bis in die dreißiger Jahre ein Weiler mit verstreuten Häusern, verbunden nur durch das lose Band einer gemeinsamen Ortsbezeichnung. In der Zwischenkriegszeit bauten begüterte Wiener Familien ihre Villen in Eichgraben mit dem Wunsch nach Ruhe und Abgeschiedenheit. Dann kamen die Wochenendhausbesitzer mit dem gleichen Bedürfnis nach wohlverdienter Erholung.

Einig gegen die Gemeinde

Enge Beziehungen und Gemeinschaftssinn konnten sich so kaum entwickeln, abgesehen von den natürlich bestehenden Freundschaften und Bereitschaft zu gegenseitiger Hilfe im kleinen Bereich.

Es „fremdelt”, faßt es der Pfarrer bedauernd zusammen. Er versucht, wenigstens die Kirche neben dem Sportplatz zu einem möglichen Ort von Berührungspunkten zu machen und bietet eine Reihe von Veranstaltungen dafür an, wie beispielsweise den Nachmittagskaffee in der Pfarre.

Wenn es allerdings gegen die Gemeinde geht, deren finanzieller Druck einerseits und durch die fehlenden Mittel bedingte Vernachlässigung vorhandener Bedürfnisse andererseits als ungerecht empfunden werden, bauen sich in Eichgraben die unterschiedlichsten Beziehungsgeflechte auf, berichtet Gemeinderat Klenk lakonisch.

Dann finden sich buntgewürfelte Gruppen, um ihre Interessen durchzudrücken.

All diese Probleme finanzieller und menschlicher Art treten in Eichgraben sicherlich gebündelt auf, sind aber typisch für die Probleme etlicher „Zweitwohnsitz-Gemeinden”, wenn sie dort meist auch nicht so extrem auftreten.

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