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Wien zu Gast in Rom und kein geringer Erfolg

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Sich vor anstürmenden Besuchermassen fassungslos an die Wand drük- kende Museumswärter, lächelnde Wien-Hostessen, die unermüdlich Fragen beantworteten und sich Prospekte aus den Händen reißen ließen, begeisterte Kinder, die ihre Eltern zum Modell der Wiener Innenstadt zerrten, wo man so schön mittels Knopfdrucks die einzelnen Bauwerke aufleuchten lassen konnte, und selig in Walzerstimmung badende ältere Herrschaften - das waren die ersten Eindrücke, wenn man die Stufen zum Palazzo delle Esposizioni hinaufgestiegen war, vorbei an den beiden großen „Festwochen-W” aus rot-weißem Fahnenstoff.

Fast 200.000 Besucher in weniger als zwei Wochen - dieses Ergebnis erwarteten sich nicht einmal die größten Optimisten und Wienfreunde; und auch die Veranstalter - der Wiener Fremdenverkehrsverband in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Kulturinstitut in Rom - Professor Heinz Schmidinger, Hofrat Hans Zettel und Dr. Angelika Saupe hatten die Hauptlast der im mediterranen Raum nicht immer ganz einfach durchzusetzenden Organisation zu tragen - waren sichtlich überrascht vom Echo in den Zeitungen und vor allem in der Bevölkerung. „Hai giä visto l’esposizione sulla bellissima Vienna? Stupenda! Vai!” konnte man auf Cocktailparties, in den Bars und sogar beim Obststandl am Markt, irgendwo in der Stadt, hören.

Man hatte auch fast alles aufgeboten, was das Traumbild der Walzerstadt Wien festigen und noch bunter machen konnte. Bis zur echten Sachertorte, die man - natürlich mit Schlag - servierte. Und alle kamen - am Tag vor der Eröffnung die Joumalistenmeute, etwas später die „Offiziellen”. Bürgermeister Giulio Argan, der nach der Eröffnungsrede der Vizebürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner ein Feuerwerk geistvoller Erinnerung und kulturhistorischen Wissens, gesammelt während seines Wien-Aufenthaltes in ganz jungen Jahren, auf die erstaunt aufhorchenden Diplomaten und Kardinale, Österreicher und Österreich-Freunde losließ, wies vor allem auf Wiens Bedeutung um die Jahrhundertwende hin. Roms kommunistischer Bürgermeister erklärte, er schätze sich glücklich, noch ein Stück des „alten Europa” miterlebt zu haben, das die nachfolgenden Generationen nicht mehr kennenlernen würden …

Nach der ersten Vorführung der „Multivision”, die auf acht mal drei Meter Projektionswand innerhalb von 17 Minuten, nur Musik im Einklang mit fast 3000 Fotos, ein bezauberndes, buntes Bild der Wienerstadt vorgaukelte, machte man sich auf den ersten Rundgang - all’italiana allerdings. Die einen verweilten besonders lange bei der Jugendstilausstellung, die einen großen Teil der 17 Einzelausstellungen einnahm; andere konnten sich nicht von den Zeichnungen und Aquarellen losreißen, auf denen Wiener Kinder ihre Eindrücke vom Urlaubsland Italien verarbeitet hatten. Die Siegerin dieses Wettbewerbes, die neunjährige Doris Dafert, durfte übrigens einige Tage lang mit staunenden Augen Rom betrachten.

Ein heftig diskutierendes Grüpp- chen fand sich meist vor Wander-Ber- tonis Säulen, die der italienische Künstler, Wahlösterreicher, in den letzten zwanzig Jahren im Steinbruch von St Margarethen gemeißelt hat, oder auch vor Johannes Peter Perz’ „synthetischen Metallobjekten”. Mancher Altösterreicher, noch vor dem Krieg nach Rom übersiedelt erinnerte sich sinnend der Plakate, die da plötzlich vor seinen Augen die Wände eines der Säle lebendig machten. („Ein Paar Strümpfe - 2 Schilling” - das waren noch Zeiten!) Nicht weit davon machten Fotomontagen und Diapositive die Revitalisierungsarbeiten in der Altstadt deutlich; technisch interessierte Herren begutachteten von allen Seiten Wiener Präzisionsgeräte; modebewußte Römerinnen wollten die Stoffdrucke eines bekannten Wiener Modehauses gleich mit nach Hause nehmen. Und wer müde war, hätte sich gerne - wenn es erlaubt gewesen wäre - in den ewig jungen Lehnstühlen Josef Hoffmanns niedergelassen. Aber man wurde auf die Sessel vor der Multivision verwiesen und ließ sich gerne ein zweites Mal vom „süßen Mädel”, Opemball, Stephansdom im Abendlicht und Pratertypen bezaubern.

Keine U-Bahn-G’stetten, die Reichsbrücke stand auch noch… Die Welt, Wiens kleine Welt, schien heil zu sein und zuckersüß. Doch die vom Veranstalter gewünschte Wirkung wurde erreicht: wer Wien nicht kannte, bekam Sehnsucht, wer schon dort war, ein wenig Heimweh.

Nicht vergessen werden sollen auch die beiden Photoausstellungen von Barbara Pflaum und Martin Kainz, die mit ihrem „dritten Auge” viel sahen, das sonst nur „Zuagroaste” zu bemerken pflegen. Gesichter, unbekannte Winkel und Perspektiven; Kainz gelang es sogar, typische Bewegungen einzufangen. Oder auch nur die Türschilder: von Pospischil bis Nagy, ein kleiner Vielvölkerstaat in einem Dutzend Namen.

Und wieder zog es den Besucher zu den Kostümen, den Gebrauchsgegenständen, Schmuckstücken und Bildern des Jugendstüs. Vor Schiele- und Klimt-Lithographien stehend, Kolo Mosers und Josef Maria Olbrichs „Wiener Werkstätten”-Produkte bewundernd, konnte man nur im stillen hoffen, daß auch ausreichend gegen Diebstahl vorgesorgt worden war.

Auf dem Rückweg konnte man - von den Klängen des Kaiserwalzers begleitet - ein übermütiges römisches Paar einen perfekten Linkswalzer auf dem spiegelglatten Marmorboden tanzen sehen. In Italien kein geringer Erfolg.

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