Die Lektüre alter Klassiker bietet immer wieder eine Horizonterweiterung. Seit wir uns „Tom Sawyers Abenteuer“ zu Gemüte führen, wissen wir schon Einiges mehr: dass es damals am Mississippi tatsächlich Sonntagsschulen gab; dass die Kinder einander nicht mit Lego bestachen, sondern mit wirklich tollen Dingen wie alten Zähnen oder toten Ratten; und dass es noch ganz okay war, jemanden „Indianer-Joe“ zu nennen.
Eine Sache hat die Buben aber verstört: Der Umgang mit eigener und fremder Körperlichkeit. Dass sich Tom mit seinen Freunden Huck und Joe von Zuhause wegschlich, sein Ertrinken simulierte, auf einer Insel Piraten spielte und heimlich dem eigenen Begräbnis beiwohnte, stieß ihnen nicht weiters auf. Aber gemeinsam hüllenlos im Fluss baden? Das geht gar nicht. „Waren die wirklich nackert?“, lautete die bange Frage. Ja, so abartig waren die einst.
Nacktsein ist heute eine komplizierte Angelegenheit. Fast so sehr wie Sexualität. Früher hat man einfach praktiziert, ohne besondere Techniken, oft ohne Worte und allzu oft auch ohne Gefühl. Heute gibt es das manchmal noch immer, aber immerhin auch die Option, das alles ein bisschen zu reflektieren. Kundige Lehrkräfte können dazu anregen und passende Worte finden. Und wenn sie sich nicht kundig fühlen, können Experten von außen sie unterstützen.
Dass das nun pauschal (und auch professionellen Organisationen wie „Aktion Leben“) verboten werden soll, nur weil es beim Verein TeenSTAR problematische Unterlagen gab, ist wirklich ein Problem. Denn das Wissen ist gering – und die Phantasien sind groß. „Abenteuer im Kopf“ sind beim Lesen großartig; aber beim Funktionieren des eigenen Körpers sollte Realismus immer noch der Klassiker sein.
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