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Wörter

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Je mehr Wörter, desto mehr Ausreden. Alles Wesentliche und Entscheidende braucht nur wenig Worte. "Sie lieben, Sie hoffen, Sie glauben, mein Herr? Sie wollen kämpfen oder flüch-ten, genießen oder verzichten, bauen oder zerstören, meine Dame? So sagen Sie es doch! Wenn Sie wollen, warum sagen Sie nicht einfach ,Ja"? Wenn Sie nicht wollen, warum sagen Sie nicht einfach ,Nein'?"

Man sollte sich nicht hinter seinen Wörtern verstecken. Denn, was man erklären muß, läßt sich gar nicht erklären. Und wer vieler Worte bedarf, hat wohl das entscheidende Wort noch nicht gefunden.

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Es schaut fast so aus, als würde die Sprache nicht mit-spielen wollen beim Lügen. Was man ehrlich meint, formuliert man ganz anders. Sätze, die mit der Wahrheit in Einklang sind, geraten meist originell. So hat der reformierte Dogma-tiker Moltmannfrei nach Bert Brecht gesagt: "Erst kommt das Essen und dann die Moral, das heißt, erst kommt das gemeinsame Abendmahl und dann die gemeinsame Lehre."

Solche Sätze unterscheiden sich wohltuend von denen jener Zeitgenossen, die stets ihre Aufrichtigkeit betonen.

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Wer im Namen Gottes reden will, muß in Kauf nehmen, paradox zu wirken. Der Prophet Jesus hat kein Hehl daraus gemacht, daß alle Sätze, die die Zukunft des Menschen möglich machen, paradoxklingen müssen.

Wer aber die Zukunft pro-phetisch vorwegnimmt, der kann sich darauf verlassen, daß er Schwierigkeiten mit der Gegenwart bekommen wird. Karl Kraus meint es durchaus politisch, wenn er sagt: "Ein Paradoxon entsteht, wenn eine frühreife Erkenntnis mit dem Unsinn ihrer Zeit zusammen-prallt. " Wenn man Georg Chri-stoph Lichtenberg glauben darf, dann ist eben 2x2 wirklich 13!

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Und Gott ist auch nur ein Wort. Ein Lieblingswort für den einen, für den anderen ein Kli-schee-, ein Sterbenswort, ein Schlagwort; ein Modewort, ein Zauberwort, ein Empfindungs-wort, ein Machtwort. Gott ist auch nur ein Wort.

Ein Entschuldigungswort für den einen, für den anderen ein Vor-, ein Nachwort, ein Ehren-wort, ein Bibelwort; ein Dich-terwort, ein Einleitungs-, ein Schlußwort. Gott ist auch nur ein Wort.

Ein schöpferisches für den einen, für den anderen ein ge-flügeltes, ein maßgebendes Wort; ein beruhigendes, ein unbedachtes Wort, ein goldenes, ein letztes Wort. Gott ist auch nur ein Wort.

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