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UmSanS mit KamprU ncn

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Ich muß zugeben, daß ich ein Kampfhahn bin — beileibe kein Querulant, der mit jedem Streit anfängt, aber doch einer, der die Hoffnung hegt, durch Disput mit dem Nebenmenschen auf die Wahrheit zu kommen. Einer, der da glaubt, durch Argumente überzeugen zu können, aber gleicherweise bereit ist, sich durch Argumente überzeugen zu lassen. Ungefähr dasselbe glaubt ja jeder Mensch, doch in diesem Tennisspiel der Dialektik seine höchste Lust zu finden: das macht den Kampfhahn aus. Der Normalmensch läßt jeden bei seiner Meinung — „Wozu unnütz streiten?“ —, der Kampfhahn aber glaubt.an Verständigung, will durch Streit zur Einigkeit und ist also eigentlich ein Friedenshahn. W a s er allerdings nach erreichter Verständigung mit seiner Kampflust anfängt, ist eine andere Frage. Der weise Sokrates, Urbild und Vorbild aller Kampfhähne, versicherte, daß er auch nach seinem Tode in den seligen Gefilden immer weiterfragen und -argumentieren werde — offenbar doch, weil er sich nichts Seligeres denken konnte. (Unser Sokrates hatte nämlich die Kampfhahntechnik zur Vollendung gebracht. Bei einem Ringkampf etwa weiß man, wer auf die Schultern gelegt wurde, und der kann es nicht gut leugnen; während nach einem Streitgespräch sich jeder den Sieg zuschreibt, wie z. B. der Dr. Luther und der Dr. Eck. Dem vorzubeugen, stellte Sokrates seine Fragen so, daß der Antwortende schließlich ein totales Blech behauptete - so daß man mit verschränkten Armen zusah, wie der Mann sich durch seinen eigenen Mund selbst erledigte.

Das war ja natürlich ein himmlisches Vergnügen.)

Hienieden aber wird keiner so sehr mißverstanden wie der Kampfhahn, weshalb auch die meisten von seinem Umgang als einer Gesellschaftsplage Umgang nehmen. Er sucht bloß einen Sparringpartner, während dieser wegen der Boxschläge Haß vermutet und den andern nun seinerseits haßt. Er hält den Kampfhahn für rechthaberisch: „Ich bitte dich, verschone meine Lunge. / Wer Recht behalten will, hat er nur eine Zunge, ' behält's gewiß.“ Aber der Kampfhahn pfeift auf alles Rechthaben; er steht vor einem Problem wie Michelangelo vor dem ungeschlachten Marmorblock und hat nur Begierde, durch die Meißelschläge des Pro und Kontra die wahre Gestalt ans Licht zu bringen. Doch der andere fühlt lediglich, daß der da etwas gegen ihn hat... So wird der Kampfhahn seiner Lust nur froh, wenn er einem andern Kampfhahn begegnet, denn der versteht ihn gleich Nur junge Hunde beißen sich brüderlich, während ältere das Spielbegehren knurrend abweisen. Im idealsten menschlichen Fall aber hat der Kampfhahn einen gleichgearteten Bruder, mit dem er jahrzehntelang debattierend aufwächst. Dieses Glück fand z. B. Gilbert Chesterton, der geistvollste Mann seiner Zeit, in seinem Bruder Cecil. „Wer mit Cecil Chesterton aufgewachsen ist“, sagte er, „kann zeitlebens nie mehr um ein Argument verlegen sein.“

Am schlimmsten aber geht es dem Kampfhahn mit den Frauen. Denn mit Frauen verständigt man sich durch die Augen, dann mit den Lippen, und die Worte kommen höchstens hinterhergeseufzt. Spricht sie aber, so meint sie doch immer etwas anderes, weil ihr Wesen ja Andeutung und Umweg ist — ist sie ja selber der holde Umweg zu einem neuen Menschen. Nun stelle man sich die hochkomische Situation vor, wenn so ein verblendeter Kampfhahn mit ihr ein Thema diskutieren will: sie hat ja gar keine Beziehung zur Idee, weil sie selber eine Idee in Fleisch und Blut und Lächeln verkörpert. So nimmt sie des Kampfhahns Argumentation entweder für eine verblümte Liebeserklärung, oder sie erschauert davor als einem Dokumente der Männlichkeit, oder sie glaubt, daß der widersprechende Kerl etwas gegen sie hat — kurz, sie bezieht alles auf sich und er doch alles auf einen Stern, der ihr schnuppe ist. Nur ein Thema interessiert sie direkt, nämlich das bekannte Geplänkel über „die Männer“ und „die Frauen“ — aber gerade da halten die Männer den Mund, während alle Frauen zugleich zu reden anfangen.

Doch auch das allgemeine Leben ist heute dem Kampfhahn mißgesinnt, weil unsere Zeit nicht mehr, wie er, an d i e Wahrheit glaubt, sondern nur, daß jeder seine Wahrheit hat: wozu dann noch streiten? Dann .wäre ja Ueber-zeugen mörderisch, nämlich den anderen um seine geistige Existenz bringen! Und so kommt es, daß heute, die einzigen Uebungsplätze für Redekampf die Kommunistenschulen sind. (Weil nämlich arme Leute, die es anzuwerben gilt, in ihrer Einfalt noch an d i e Wahrheit glauben.) Dort gibt man zu jedem neuen Problem sogleich die passenden Parteiargumente heraus: „Wenn der das sagt, so mußt du d a s sagen!“ Aber das ist ja nur die Karikatur eines Streitgesprächs, weil hier nichts gefunden wird, sondern die Sache von vornherein feststeht. Parlamentsdebatten jedoch bedeuten mehr Interessenvertretung als Wahrheitsfindung: das entscheidende Argument ist die Abstimmung. Und der große Staatsmann wirkt nicht durch seine Gründe, sondern durch seine Persönlichkeit — das Parlament reagiert auf ihn wie ein Femininum.

Da hatten wir Kampfhähne es im Mittelalter doch besser, denn damals gab es noch öffentliche Disputationen, zu denen man sich versammelte wie heute zu einem Schachturnier. Natürlich war das Hauptinteresse: „Wer hat wen...?“, aber es ging doch''auch um neue Erkenntnisse. Wir lachen heute über ihre Diskussionsthemen, z. B.: „Wieviel Engel haben auf einer Nadelspitze Platz?“ — spüren aber nicht mehr die Denkleidenschaft, die hinter solch einer Absurdidät steckt. Wir hingegen haben heute nicht mehr Disputationen, sondern Konferenzen, wo man sich höchstens über Waffenstillstandsbedingungen einigt, aber sonst unverrichtetersache auseinanderfährt. Man kann sich nicht mehr verständigen (z. B. über -die Frage aller Fragen, ob es einen Gott gibt), sondern die Sache bleibt hoffnungslos auf ja und nein stecken. Und nicht nur Osten und Westen sind getrennt, sondern auch die Parlamente in Frankreich, in England, in Amerika stehen einander zu fifty-fifty gegenüber mit winziger Mehrheit, weil auch hier die Kraft des Ueberzeugens fehlt. Nur der alte Kampfhahn Churchill lechzt nach einem Gespräch auf höchster Ebene. Will er Malenkow überzeugen? ... Doch schon für die Absicht sei ihm gedankt. Wir Kampfhähne sind noch die einzigen, die an Frieden glauben.

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