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Ein Kavaliersdelikt?

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Wir hören seit Jahren von „Exportschwindlern“, womit „ehrenwerte“ Kaufleute gemeint sind, die durch falsche Angaben gegenüber den Finanzbehörden die sogenannte Umsatzsteuerrückvergütung erschleichen. Erst in diesen Tagen ist wieder ein Skandal aufgeflogen, der dem Staat gegen 50 Millionen gekostet hat. Die „königlichen“ Kaufleute sind nur zum Teil greifbar. Wie üblich ist wieder einer (wohl rechtzeitig gewarnt) im Ausland bei der „Österreichischen Legion" geflohener illegaler Geschäftemacher gelandet. Willige Zoll- und Finanzbeamte haben selbstverständlich mitgeholfen, sehen nun ihrer Aburteilung entgegen und werden, nach Verbüßung ihrer Strafe, irgendwo von vorne anfangen müssen. Den „Exporteuren" geht es im allgemeinen besser. Ein Teil des Erschlichenen ist nach Strafverbüßung stets noch vorhanden. Artgenossen helfen weiter, und bald ist man wieder oben. Die Gesellschaft schließt wohl den kleinen Zollbeamten, nicht aber den großartig auftretenden „Altkaufmann“ aus: schließlich ist Betrug am Staat ein Vergehen, das unter „Kavalieren" anders klassifiziert wird als beim gemeinen Volk.

Man ist nun leicht, allzu leicht, geneigt, die „Exportschwindler“ mit dem ganzen Berufsstand der Exporteure gleichzusetzen. Das zu tun ist ebenso widersinnig wie der Versuch, einen Arbeiter, der am Montag blau macht und am Dienstag dafür betrunken an die Arbeitsstätte kommt, mit der Arbeiterschaft zu identifizieren. Tatsache ist freilich, daß in Österreich nach 1945 eine Gilde von fragwürdigen Elementen im Groß- und Außenhandel Unterschlupf gefunden hat, Menschen, die Können und Eigenkapital durch Auftreten und Beziehungen zu ersetzen wußten. Ein theatralisches Imponiergehaben, riesige Luxuswagen, ein Troß von „Sekretärinnen", tausend Worte „Gesellschaftsdeutsch“ und Traumbüros sollen verdecken, daß außer einer Gewerbeberechtigung kaum Vermögen vorhanden ist. Dieser Sachverhalt ist auch in den Führungsgremien der gewerblichen Wirtschaft bekannt. Trotzdem scheint es den Vertretern der Wirtschaft sehr schwer zu fallen, endlich einmal eine Art Selbstreinigung vorzunehmen und Menschen, die den Berufsstand und das ganze System der individuellen Wirtschaftsführung in Verruf bringen, aus den Reihen der Händler zu verweisen.

Eine Änderung des Gesetzes über die Umsatzsteuerrückvergütung scheint unvermeidbar geworden:

• Es sollte erkannt werden, daß ein Vergütungssatz von 10,2 Prozent nicht mehr eine Rück Vergütung ist, sondern den Charakter einer Prämie hat.

Der Sinn der Vergütung (vor allem der Prämie) ist es nun, diese zur Verbilligung der im Ausland angebotenen Ware zu verwenden. Geschieht das?

Wird nicht vielfach die Vergütung lediglich zur Erhöhung des Gewinnes, also zweckentfremdet, benützt? Wer kontrolliert die Zweckverwendung?

• Wenn die Vergütung vom Wert franko Grenze gewährt wird, inwieweit wird dann der Eingang des Gegenwertes banktechnisch geprüft? Warum können an die 100 Millionen Schilling erschlichen werden, ohne daß man die Steuerbekenntnisse des Exportjahres abwartet?

• Die Rückvergütung macht sicher in vielen Fällen erst die Ware auf den internationalen Märkten konkurrenzfähig. Das ist aber nicht durchweg der Fall. Unser Abgabenrecht ist ungemein kompliziert geworden, ohne daß der Fiskus immer daraus einen großen Nutzen zu ziehen vermag. Könnte nicht eine rigorose, vielleicht komplizierte Prüfung zumindest in einzelnen Fällen feststellen, ob die Vergütung tatsächlich notwendig ist und nicht allein der Gewinnmehrung dient?

Wie hoch die bisher gewährten Rückvergütungen sind, wird der Öffentlichkeit nicht bekanntgegeben. Für 1960 wird jedenfalls mit einem Betrag von zwei Milliarden Schilling gerechnet (!)•

Weiter: Wie hoch sind die bisher bekanntgewordenen Schäden, welche durch „Exportschwindler“ entstanden sind? Dabei muß man annehmen, daß die amtsbekannten Schäden nur Min- destbeträge darstellen! In diesem Fall scheint eine Rechnungslegung geboten und eine Chance für eine Fragestellung im Nationalrat gegeben.

Angesichts der ungeheuren und ungeheuerlichen Schwindeleien auf dem Gebiet der Exportbegünstigungeri wäre nun die Forderung nach Abschaffung der Rückvergütung der Umsatzsteuer ungemein populär. Man darf jedoch nicht das Kind mit dem Bad ausgießen. Unser Export braucht, als Folge der Bedrohung durch die Kleineuropäer vom Schlage de Gaulles und Hallsteins, eine wirksame Förderung. Nicht allein wegen der bisweilen zu hohen Selbstkosten, sondern einfach deswegen, weil auch die anderen Länder ihren Exporteuren offen und versteckt Subventionen zustecken.

Wie immer die Behörden oder sogar der Gesetzgeber auf die so leicht gemachten Schwindeleien mit den Umsatzsteuerrückvergütungen antworten werden, ein exemplarisches Durchgreifen ist unvermeidbar geworden. Es geht nicht an, daß ein Mensch, der einige Schillinge veruntreut, für sein Leben diffamiert wird, während es einer nicht kleinen Gruppe von Händlern gelingt, den Staat um Beträge zu schädigen, die an jene Summe heranreichen, mit der unser’ Schulbautenfonds gespeist werden soll. Wenn wir den Dingen freien Lauf lassen, müssen wir bald in unserem Budget einen Posten einbauen, der jene Beträge enthält, mit denen das Lotterleben von sogenannten Kaufleuten finanziert werden muß.

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