Schwänzer und Bestrafer

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Wer in Österreichs Schulsystem etwas fürs Leben lernen will, der kann das tatsächlich tun. Erkenntnis eins: Fragen der Bürokratie, Pöstchen und Hierarchien, kurz des Systems, sind hierzulande wichtiger als Fragen der Qualität. Beispielsweise diese wichtigste: Was ist gut für die Schüler? Die Antworten darauf werden entweder konsequent umschifft oder brutal abgewürgt (Bildungsvolksbegehren).

Statt dessen bläht sich der Apparat: Jüngst schuf die Gemeinde Wien sogar einen Beauftragten für oder besser gegen das "Schulschwänzen“. Er soll eine "Strategie“ gegen das Schwänzen erarbeiten. Die Ergebnisse werden wohl wenig überraschen. Dass Eltern, Schüler und Lehrer in Krisenfällen besser miteinander kommunizieren sollten. Dass Schulpsychologen eingesetzt werden sollten. Dass es für die Betroffenen wohl auch den einen oder anderen Förderunterricht braucht. Dazu braucht es weniger einen Beauftragten, als jemanden, der für die ohnehin bekannten Maßnahmen Geld zur Verfügung stellt.

Und strafet die Bürger

Doch die Angelegenheit wird noch immer absurder, da dieser Tage zusätzlich eine noch höhere Strafe gegen die Eltern und Familien der "Stangler“ beschlossen wurde: 440 Euro soll Unterrichts- und Bildungsferne in Zukunft kosten. Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller hätte überhaupt gleich die Kinderbeihilfe einbehalten, sobald einer oder eine konsequent genug den Unterricht verweigert. Wir stellen betroffen fest: Die eine Hand gibt das Geld für einen Beamten aus, der erfinden soll, was alle schon wissen, die andere knüppelt jene mit Strafen, die eigentlich einer sinnvollen Betreuung bedürfen. Jetzt fehlt als Tüpfelchen auf dem I nur noch, Jetzt fehlt nur noch, dass die Einnahmen aus den sinnlosen Schwänzstrafen den sinnlosen Schwänzbeamten finanzieren. Das wäre der perfekte Leviathan.

Hinter den kuriosen Geistesblitzen der Schulpolitik zeigt sich aber ein großes Missverständnis: Schule und Ausbildung sind in diesem Land Pflicht. Das ist gut so, da die Gesellschaft die Aufgabe hat möglichst viele mündige Bürger zu schaffen. Aber die Pflicht ist hier als Angebot gemeint, das selbstverständlich von 99 Prozent angenommen wird. Wer dieses Angebot ausschlägt, hat meist schwere persönliche und soziale Probleme, die durch Geldstrafen mit Sicherheit nicht gemindert, in den meisten Fällen aber verschärft werden. Dazu werden die meisten Schwänzer, die man unter Strafdrohung zurück hinter die Schulbank zwingt, aus Frust ihre Mitschüler und den Unterricht behindern.

An den echten Krankheiten vorbei

Während die neuen Strafen nichts Positives bewirken werden, feiern die wirklich skandalösen Krankheiten des Schulsystems fröhliche Urständ: 330.000 Schüler, so eine aktuelle Studie des IFES, müssen jährlich Nachhilfe nehmen. Die finanzielle Belastung für die Familien von Nachhilfeschülern liegt bei 670 Euro pro Jahr. Milliarden Euro sind das also jährlich, weil das Schulsystem darin versagt, die Lerninhalte zu vermitteln.

Nehmen wir zum Beispiel Mathematik, jenen Gegenstand, für den 57 Prozent aller Nachhilfegelder aufgehen. Dieses Pflichtfach wird seit Generationen ohne jedes didaktische Konzept und ohne seine wunderbaren philosophischen Grundlagen vermittelt. Die Schüler werden mit Formeln und Gleichungen zugemüllt.

Reformbestrebungen dazu: gleich null. Hier kulminiert die Dummheit des Systems: Interessantes wird zu einem unverständlichen Brei verrührt, möglicherweise Interessierte werden notwendig zu Angewiderten. Das Ergebnis solcher Politik finden wir in jeder PISA-Studie wieder. Vielleicht wären Strafen ja tatsächlich sinnvoll - aber nicht gegen Eltern und Schüler, sondern gegen eine seit Generationen schlechte Politik. Das würde vielleicht so manche dringend notwendige Reform drastisch beschleunigen..

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