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Briefe aus Rom

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Wir sind wie Schwimmer mitten im Wellengang — bald wirft es uns hoch, bald verschwinden wir unter Wasser. Sie erraten, ich war am Meer, daher das Bild. Aber tatsächlich, bei täglichen Berichten kann nicht mehr herauskommen als „Stimmungsbilder“ — und selbst wenn einer bei Ihnen alle Stimmungsbilder zusammensetzen wollte, kämen nur schwerlich die wirklichen Grundzüge des hiesigen Geschehens zum Tragen, sondern es bliebe ein buntes Tableau von Stimmungsklecksen, ganz lustig und unterhaltlich, aber völlig offen für die Auslegung, die ihm dieser oder jener geben möchte. Nun, nach fast 14 Tagen Konzil ist das schon anders. Ich lasse die Farbkleckse beiseite — oder setze sie voraus — und beginne, Grundlinien zu malen.

Um die „Stimmung“ des Konzils

Doch zuerst noch: Ja, es ist wahr, die „Stimmung“ ist (alles in allem, abgesehen etwa von P. Daniėlou,der strahlt wie noch nie, weil er Freude hat, wenn der Wind ihn umweht) gedrückt. Und zwar bei ungefähr allen Gruppen: bei den Bischöfen, weil ihnen die rasche Gangart den Atem verschlägt, bei den Beobachtern, weil ihnen die beiden Kapitel 7 und 8 des Kirchenschemas nicht gefallen, bei den Orientalen, weil sie finden, das lateinische Denken habe wieder einseitig die Oberhand gewonnen in den neuen Texten, bei den Journalisten, weil die Papstrede nicht ihren Erwartungen entsprach, bei den Afrikanern und Asiaten, weil sie sich von der Eschatologie etwas ganz anderes erhofft hatten, bei den Südamerikanern, weil sie auf die praktischen Fragen des Schemas 13 warten, bei den USA- Bischöfen, weil man ihnen bedeutet hat, es sei noch gar nicht sicher,

daß das Kapitel über die religiöse Freiheit in dieser Konzilsphase schon „drankomme“ (jetzt ist es dran) usw. Sie sehen, die Motive sind sehr verschiedener Art; sie fließen aber alle darin zusammen, daß fast niemand froh und beschwingt ist. Dann denkt man an den Anfang des Konzils zurück und an die Welle des Optimismus, die Papst Johannes ausgelöst hatte, und sagt resigniert: Er ist eben tot.

Die Frage der Autorität in der Kirche

Die neue Haltung konnte also so gut wie in allen Fragen von Nutzen sein, ja, sie war mit Recht der Stempel dieses Konzils. Trotzdem, mit der Haltung allein läßt sich nicht alles lösen. Sie kann jeder Aussage die Form geben, aber sie braucht auch einen Stoff, der ausgesagt wird. Ich meine, wenn in der letzten Konzilsphase von Kollegialität der Bischöfe die Rede war, dann entsprach es der „Stimmung“ dieses Konzils, sie begeistert zu bejahen. Um sie aber genau festzu-

legen, braucht es mehr.

Damit will ich gar nicht sagen, daß die jetzige Vorlage des Kirchenschemas im dritten Kapitel über die Struktur der Kirche und vor allem über die Bischöfe die Kollegialität überbetone. Eher ist das Gegenteil der Fall.

Es ist klar, daß man diese schwierige Frage, die für das Gespräch sowohl mit den getrennten Ostkirchen wie auch mit den Protestanten von grundlegender Bedeutung ist, nicht einfach mit der „Stimmung“ oder der Haltung und Bereitschaft zum Gespräch allein entscheiden kann. Die Bereitschaft kann einem die Neigung geben, die dritte Ansicht möge die richtige sein. Aber entschieden werden muß die Frage aus dem Evangelium und der Geschichte der Kirche, das heißt, ihrem bisherigen Handeln. In dieser Hinsicht ist das eben erschienene Buch des katholischen Laien G. Alberigo (von Bologna) über die Entwicklung der Lehre von den Vollmachten in der universalen Kirche („Lo sviluppo della dottrina sui poteri nella chiesa universale“, Herder-Verlag, Rom, 1964) von unschätzbarem Wert. Es behandelt den Zeitabschnitt vom 16. bis 19. Jahrhundert und zeigt, daß damals die hier als dritte gezeichnete Ansicht in Rom selbst den Vorrang einnahm. Die Bischöfe streiten sich um dieses Buch. Es stellt im Augenblick eine Art Sensation dar.

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